So, nach einer langen Phase der Abstinenz melde ich mich zurueck :) Die letzten vier Tage habe ich ja mit reisen zugebracht und irgendwie hab ich so viel erlebt und gesehen, dass ich grad gar nicht recht weiss, wie ich das alles gliedern soll. Deshalb fang ich einfach mal chronologisch an..
Donnerstagabend fuhr ich mit dem Bus nach Borivali zum Bahnhof.. mir war sehr schlecht vor Aufregung und Angst, da ich nicht wusste, wie ich mir eine Zugfahrt in Indien vorstellen sollte und die Dunkelheit und die Ungewissheit, wie und wo ich in den naechsten Tagen leben wuerde.. also, wenn man so allein reist, belastet einen das irgendwie, selbst als vielgereisten Backpacker :) Als ich dann aber in meinem Bettchen lag, haette ich vor Erleichterung am liebsten gelacht.. Nachtzuege sind so richtig toll hier! Ich hatte eine kleine eigene Koje, mit Vorhaengen vom Gang abgetrennt, und ein Fenster, aus dem ich im Liegen rausgucken konnte.. so schwebte ich durch die Nacht, vorbei an vereinzelten Lichtern und Provinzbahnhoefen, wurde langsam in den Schlaf geschaukelt und war ganz entspannt, weil alle Betten um mich rum von kinderreichen Familien und Rentnern belegt waren.
Als ich am naechsten Morgen erwachte, sah ich ein neues Indien.. das Verlassen der Grossstadt war eigentlich wie eine Reise in ein neues Land. Ich war total baff und starrte erst mal nur aus dem Fenster.. eine weite Steppenlandschaft mit Bueschen und vereinzelten Wasserloechern und Palmenhainen, Hirten mit ihren Kuh-, Schaf- und Ziegenherden, Doerfer und Tempel, die durch Schotterpisten verbunden sind, auf denen nur Rikshas, Motorraeder und vereinzelte Lastwagen unterwegs sind – alles ganz anders als in Mumbai, eben sehr laendlich. Da wunderte es mich auch nicht mehr so sehr, dass es echt noch Doerfer ohne jeglichen Stromanschluss gibt.
Die Familie, die die Betten in meinem Abteil belegte, war sehr nett und der Familienvater rief extra einen ehemaligen Nachbar seiner Eltern an, der Bahnhofsvorsteher in Bhanvnagar (mein Zielbahnhof) war, damit dieser meine weiteren Reisemoeglichkeiten ermitteln sollte. Als ich in Bhavnagar ankam, wartete ich am Bahnhof eine halbe Stunde auf einen Bus und fuehlte mich in der Zeit sehr unwohl, weil ich noch viel mehr angestarrt wurde als je zuvor.. wahrscheinlich, weil westlich gekleidete und vor allem echte Auslaender dort noch seltener sind, als in Mumbai. Dann kam der Bus und ich machte eine unschoene Erfahrung.. alle draengelten sich rein und als ich einstieg, waren kaum noch Plaetze frei.. hinten sassen nur Maenner und vorne auch einige Frauen, also wollte ich mich auf den letzten freien Platz in der ersten Reihe setzen.. netterweise wurde mir das leider verweigert.. da fuehlte ich mich schon ganz toll, als ich mich dann mit meinem Gepaeck unter allgemeinem Starren nach hinten gekaempft hatte, sah ich einen freien Einzelplatz. Zwar dachte ich mir schon, dass der fuer den Kartenkontrolleur reserviert sei, aber nachdem ich mich fragend umgeguckt und einige laechelnd genickt hatten, hab ich mich hingesetzt – danach lachten alle noch viel mehr. Ach wie ueberaus lustig!! Kurz darauf wurde ich vom Kontrolleur verscheucht und quetschte mich zu irgendwelchen Typen in die hintere Bank.. ich musste in dem Moment mit den Traenen kaempfen.. des is echt ein beschissenes Gefuehl, irgendwie den ganzen Bus “gegen” sich zu haben.. und ich kann mir nicht vorstellen, dass ein Inder, der nicht in der Lage ist, sich verstaendlich zu machen, in Deutschland in so eine Situation kommen koennte, wo ihm 40 Leute dabei zusehen, wie er sich zum Affen macht. Naja, ich wollte denen jedenfalls nicht die Genugtuung geben, mich weinen zu sehen..
Nach 2 Stunden im anscheinend ungefederten Bus kamen wir in Palitana an. Das Gefuehl war dort noch viel schlimmer, ich wurde von JEDEM maennlichen Wesen mit “hi, hello, madam, come on, bye bye” oder sonstwas angelabert und alle alle alle haben mich angestarrt.. des ist sowas von unglaublich unangenehm!! Noch schlimmer wurde es dann, als ich mein Zimmer im einzigen Hotel in der ganzen Stadt in Augenschein nahm.. muffige, benutzte Decken und Kissen, das Klo ein ALPTRAUM und der Feinrippunterhemd tragende Vermieter machte keinen Hehl daraus, dass er sich 2 Minuten vor meiner Ankunft von einem Mittagsschlaf auf meinem Bett erhoben hatte.. lecker. Ich kaufte mir erstmal etwas zu essen.. Toastbrot.. nachdem ich 3 Scheiben gegessen hatte, stiess ich auf Schimmel (wie sich spaeter herausstellte, war jede einzelne Packung in der ganzen Stadt verschimmelt! Vielleicht eine oertliche Spezialitaet oder die kennen es nicht anders.. fuer mich hiess das jedenfalls: ich ernaehrte mich die ganzen 4 Tage lang nur von Aepfeln, Bananen und Keksen).. alles in allem hing mir Palitana zu dem Zeitpunkt sehr zum Hals raus. Zwar machte ich abends bei einem Stadtrundgang einige tolle Entdeckungen wie z.B. einen Gemuesemarkt und wurde von freundlichen Muslimen dazu eingeladen, an einer Zeremonie in einer Moschee teilzunehmen, aber mir war schlecht beim Gedanken, 2 Naechte in meinem widerlichen Zimmer zubringen zu muessen. Irgendwie verging die erste Nacht dann aber doch, obwohl ich jede Stunde einmal aufwachte..
Am naechsten Morgen machte ich mich daran, den Shatrunjaya (“Sieg ueber den Feind”), zu dessen Fuss Palitana gelegen ist, zu erklimmen. Das ist eine 600 Meter hohe Erhebung im sonst sehr flachen Umland und einer der 4 heiligen Berge der Jains, auf dessen Spitze sich 836 Tempel befinden. Die ersten sollen im 4. Jahrhundert n. Chr. errichtet worden sein, wurden aber im Laufe der Geschichte von muslimischen Eroberern zerstoert. Die aeltesten heute noch existenten Tempel stammen aus dem 12. Jahrhundert. Um diese Pilgerstaette zu erreichen, muss man 3000 Stufen erklimmen, 3500 Meter zuruecklegen und dabei 600 Hoehenmeter ueberwinden. Das mag nicht so schrecklich anstrengend klingen, ist es aber, wenn man die Hitze und die Sonne miteinbezieht.. ich war nach den ersten 500 Stufen schon nassgeschwitzt und konnte nur unglaeubig den Kopf schuetteln, als 2 weisshaarige, faltige Maenner mit komplett schweissgetraenkten Hemden einen wahrscheinlich 100 Kilo schweren “Pilger” in einem Holzthron die Stufen hochschleppten.. der Service (Auf- und Abstieg) kostet 300 Rupien, 5 Euro. Ich stieg jedoch zu Fuss auf und brauchte fuer die Strecke 1,5 Stunden. Auf dem Bild ist ein Ausschnitt des Weges zu sehen.. einer der wenigen Abschnitte ohne Treppenstufen.. in einiger Entfernung der Tempelberg. Unterwegs begegnete ich unzaehligen Kuehen und einer fetten schwarzen Schlange und gruenen Papageien, die nach Wilhelma aussahen.
Die Tempel selbst waren huebsch, aber das Gewirr aus Tuermen und Gaengen sehr unuebersichtlich. Tollerweise waren kaum Pilger da und ich war teilweise ganz allein auf meiner Tour.. Ich traf auch auf eine Gruppe von Moenchen, die mich dazu aufforderten (!), ein Foto von ihnen zu machen.. Nach dem Abstieg zitterten meine Beine und ich hatte einen Sonnenbrand im Nacken, aber ich war zufrieden mit mir :) abends schlief ich dann auch ziemlich schnell ein.. trotz stinkender Decken und gruseliger Stadt..
Am naechsten Morgen erwachte ich um 5 Uhr, da eine WIDERLICHE Wanze in meinem Gesicht rumkrabbelte.. das Hotel war schlimmer als alles, was ich mir jemals vorgestellt haette! Geradezu fluchtartig brach ich recht frueh auf und fuhr zurueck nach Bhavnagar, wo ich dringend ein Internetcafe benoetigte, um meine Rueckfahrkarte zu confirmen.. da alle Rikshafahrer, die ich nach einem solchen Etablissement fragte, noch nie etwas vom Internet gehoert hatten (.. unglaublich), fuhr ich in einer wahren Odyssee von einem Stadtteil in den naechsten.. der Fahrer fragte einige Menschen am Strassenrand, schleifte mich in Banken, wo ich auf Englisch mit den Angstellten kommunizieren konnte, diskutierte mit denen herum, nickte dann jedesmal wissend und fuhr doch wieder in eine voellig falsche Gegend.. zuletzt wurde ich von einem mitleidigen Menschen in ein Versicherungsbuero gefuehrt, wo ich mal an einen Computer durfte. Ahhhh..
Danach schaute ich mich in der Altstadt um, die 1723 gegruendet wurde. Dort boten sich wirklich richtig gute Fotomotive vom Leben auf dem Lande.. jedoch wurden die Strassen mit fortschreitender Stunde immer ausgestorbener, da sich die meisten zur Siesta in ihre Haeuser zurueckzogen und so erinnerten mich die staubigen Gassen sehr an eine Mischung aus einem rumaenischen Dorf und dem Wilden Westen um High Noon.. Irgendwann wurde ich von einem Mann gewarnt, ich sole hier nicht alleine rumlaufen, dies sei keine sichere Gegend.. ich schlug seinen Ratschlag in den Wind und lief weiter, woraufhin ich gleich von ein paar merkwueridgen Gestalten angelabert wurde, die mir Geld anboten.. aehm.. ja.. daraufhin kehrte ich schnellstmoeglich zum Bahnhof zurueck, wo ich dann noch stundenlang auf meinen Zug warten musste.
Die Fahrt nach Hause war wieder sehr angenehm und als ich heute Morgen aufwachte, hatte ich wieder einen tollen Ausblick direkt aus dem Bett raus, echt cool. Mitten in der Einoede sah ich 3 Jungs in Schuluniform durch ein Reisfeld zur Schule laufen und Fischer in ihren Booten nach Hause fahren..
Und jetzt gerade verspuere ich eine grosse Vorfreude beim Gedanken an ein Abendessen, da ich mich in den letzten Tagen wie gesagt nicht gerade abwechslungsreich ernaehren konnte.. auch eine Nacht in einem wohlriechenden Bett wird sehr nach meinem Geschmack sein :)