Montag, 29. November 2010

Pushkar

Den Samstagvormittag verbrachten wir in unserem Hotelzimmer.. auf drei aneinandergeschobenen Betten und auf dem Boden schliefen die müden Lustreisenden im von flirrenden Sonnenstrahlen aufgeheizten Zimmer, die typischen Geräusche der langsam erwachenden Stadt drangen von der direkt unterhalb unseres Fensters liegenden Hauptstraße zu uns herauf. Gegen 12 Uhr entschloss man sich zum Aufbruch.. nur der müde Johnny konnte nicht dazu bewegt werden, sich von seiner Ruhestatt zu trennen, weswegen er zurückgelassen werden musste. Mit einem unfassbar überfüllten Kleinbus fuhren wir ins etwa 15 Kilometer von Ajmer entfernte Örtchen Pushkar, wo wir von Southside-Erinnerungen hervorrufenden Menschenmassen, sehr zu unserer Enttäuschung nicht jedoch von den erwarteten Kameltrossen empfangen wurden. Die Stadt machte einen wahrlich zauberhaften Eindruck auf uns.. hellblau gestrichene, uralte Häuser säumten die engen Gassen, links und rechts des Weges wurde an kleinen Ständen buntes Gemüse zum Verkauf angeboten und die unzähligen flanierenden Menschen waren allesamt in ihre farbenfrohschillerndsten und buntesten Festtagstrachten gekleidet. Durch den im Gegensatz zum bereits winterlich matten Licht, in welchem Delhi seit einiger Zeit dahindämmert, blendend hellen Sonnenschein wirkte die Umgebung noch kontrastreicher und dadurch künstlicher, als sie es ohnehin durch die märchenhafte Kulisse schon tat.

Der in einem Wüstenhochtal situierte See, an welchem Pushkar gelegen ist, gilt den Hindus als heilig und ist daher eine der wichtigsten Pilgerstätten Rajasthans. Ähnlich wie in Varanasi gibt es Ghats, an denen Gläubige Waschungen im (nicht ganz so) reinen Wasser vornehmen.

Reise nach Ajmer

Am Samstagmorgen, so war der Plan, sollten wir uns per Zug nach Rajasthan begeben, um im beschaulichen Wüstenörtchen Pushkar die Pushkar Mela, die weltgrößte Kamelmesse, mitzuerleben. Freitagabend stellte ich dann fest, dass ich beim Buchen der Fahrkarten mal wieder einiges vermasselt hatte (déjà vu).. glücklicherweise befanden wir uns gerade in Nirjhars Auto und damit auf höchst komfortable Weise in der Nähe des sog. Bikaner House, dem Busbahnhof des rajasthanischen Tourismusverbands. Wir hielten also dort an und ich buchte kurzerhand Tickets für den nächsten Morgen – für Amélie, Jonas und mich. Wieder im Auto bei den anderen kam mir plötzlich in den Sinn, dass man ja auch einen Nachtbus noch am selben Abend nehmen könnte, daylight saving time! Und wieso eigentlich ein Trip zu dritt.. Sanyat und Nirjhar, kommt mit! Die kurz aufkeimenden Zweifel wurden niedergemäht, die soeben gebuchten Tickets gecancelt, eine Reise für den selben Abend eingefädelt. Der Bus sollte um 23.30 Uhr abfahren, es blieben uns damit fast drei Stunden.. das mag nach einem ausreichenden Zeitraum klingen, um kurz mal 3 T-Shirts und eine Zahnbürste zusammenzupacken. Jedoch muss der Indienlaie bedenken, dass die Bewegung im innerstädtischen Nahverkehr auf diesem Subkontinent äußerst zeitkonsumierend ist! So brach schon gleich zu Anfang unseres wahnwitzigen Unterfangens (gegen 20.45 Uhr) eine gewisse Hektik aus..die sich später zu einer regelrechten Panik hochschaukeln sollte. Zunächst fuhren wir mit dem Auto ein Stückchen gen Norden.. nachdem irgendjemand eine grobe Zeitrechnung aufgestellt hatte, wurde klar, dass wir uns beeilen mussten. Sanyat wechselte ans Steuer, da allgemein angenommen wurde, er könne durch seinen geisteskrank-rücksichtslosen Fahrstil noch etwas herumreißen.. das Einzige was er jedoch tatsächlich herumriss, war das Lenkrad (Vollgas, zwischen zwei Fahrzeuge schlängeln, Vollbremsung, Vollgas, scharfe Linkskurve, Vollbremsung, Vollgas, anhaltendes Hupen..) und vielleicht unsere Nackenmuskulatur.. oder so. Darüber hinaus war sehr fraglich, ob es für Nirjhar praktikabel sein würde, uns in den Norden zu fahren, da er selbst im Osten Delhis wohnt (in etwa 20 km Entfernung) und selbst auch noch packen musste. Als wir dann auch noch im Feierabendverkehr steckenblieben, entschlossen wir, Nirjhar mit dem Auto seinem Schicksal zu überlassen und stiegen kurzentschlossen aus. Unsere Annahme, in der Nähe einer Metrostation zu sein, bestätigte sich unglücklicherweise nicht.. mittlerweile hatten einige der Beteiligten eine leicht panisch kieksende Stimme angenommen, andere wirkten äußerlich ruhig und kicherten nur ab und an ungläubig in sich hinein.. nach einer wahren Hetzjagd erreichten wir die Metro und quetschten uns mit dem schönsten Rush-Hour-Pulk in die schlecht ventilierte Untergrundbahn. Gegen 5 vor 10 erreichten wir unsere Wohnung.. spätestens um 22.15 Uhr mussten wir wieder aufbrechen, wollten wir unseren Bus erwischen. In Windeseile wurde das Allernotwendigste (vor allem Haferflocken) zusammengepackt, wobei auch einige Wolldecken nicht fehlen durften, da es selbst in Indien mittlerweile ziemlich herbstlichkalt ist. Mitten im Trubel (wir waren gerade damit beschäftigt, Essensreste aus der Küche zu entfernen, um den bei uns seit neustem heimischen Kakerlaken über das Wochenende keine zusätzliche Tummelstätte zu bieten) erreichte uns eine Hiobsbotschaft von Sanyat: Er hatte keinen Schlüssel dabei und sein Room Mate war ausgeflogen.. ohne Zugang zu seiner Behausung hatte er sich daher notgedrungen darauf Verlegt, einige Kleidungsstücke und Geschirrtücher von der Wäscheleine in eine Plastiktüte zu packen.. desweiteren war er bargeldlos und daher darauf angewiesen, von uns aufgesammelt zu werden :) die ganze Hals-über-Kopf-Aktion nahm ungeahnt chaotische Züge an! Gegen 22.30 Uhr brachen wir endlich Richtung Central Delhi und Bikaner House auf, noch überwiegend zuversichtlich, fast pünktlich zu sein. Die Metro spielte uns dann selbstverständlich auch noch einen Streich, indem unsere Bahn an zwei Haltestellen scheinbar grundlos für jeweils fünf Minuten hielt.. höchst nervös versuchten wir zu kalkulieren, ob es nun schneller sei, sofort auszusteigen und mit der Riksha weiterzufahren.. dabei wurden auch Faktoren wie die Rikshadichte der entsprechenden Gegend nicht außenvorgelassen. Risikobereit entschieden wir uns für diesen Transportmittelwechsel und erreichten schließlich 3 Minuten vor Abfahrt den Busbahnhof! Belohnt für die schweißtreibende Anreise wurden wir mit einer superluxuriösen Nachtbusfahrt im noblen VOLVO-Bus (indienweit bekannt als das non-plus-ultra-Vehikel schlechthin). Jonas bereitete sich noch seelenruhig seine Schüssel Haferflocken zu.. und bald schlummerten wir alle friedlich.

[superkomfortabel sauber leise schnell.. nie bin ich Indien auch nur annähernd so luxuriös gereist!]

Schon gegen 5 Uhr morgens erreichten wir Jaipur. Dort fanden wir uns im gänzlich nachtschwarzen Busbahnhof wieder.. dort tranken wir den obligatorisch sirupsüßen Chai und hatten eine Art sehr frühes Frühstück, bestehend aus Dal Chawal.. Linsensuppe vor Sonnenaufgang, man gewöhnt sich echt an alles.. angenehm wärmend war es allemal. Anschließend stiegen wir in einen weiteren Bus, der uns nach Ajmer bringen sollte.. die im fahl-rosigen Dämmerlicht liegende, einödig-trockene Wüstenlandschaft, die wir dabei durchquerten, wirkte irgendwie gespenstisch und zugleich beruhigend menschenleer. Um 8 Uhr kamen wir schließlich in Ajmer an..

[am Busbahnhof Ajmer genehmigten wir uns ein zweites Frühstück, diesmal bestehend aus Poha (gedünsteten und plattgewalzten Reisflocken).. mmmh :) das lustige (roadside-) Essen ist doch eine der tollsten Sachen am Reisen!!]

[mit der Autorikshaw fuhren wir von der Bushaltestelle in die Stadt.. und wenn Johnny-Beta erst groß ist, wird er auch mal Riksha-Walla!]

Samstag, 27. November 2010

Younis ek baar Bharat aayaa thaa

[mit fast drei Stunden Verspätung kam Jonas am 17. November gegen 3 Uhr morgens am Indira Gandhi International Airport an.. und durfte sogleich eine Fahrt in einem liebenswerten Ambassador-Taxi (mit Teppichen bewehrtes Fahrzeuginneres!) unternehmen]

Jonas reiste einmal nach Indien. Und wie sein unfassbares Glück es nicht anders geschehen lassen konnte, suchte er sich – trotz vollkommener Unwissenheit – für seinen Aufenthalt gerade eine Woche aus, in welcher dank bald anstehender Examen (that is.. für normalsterbliche Studenten.. und damit nicht für mich) keine Vorlesungen mehr stattfanden! Somit blieb ihm die Erfahrung der alltäglichen Universitätsroutine erspart, stattdessen durfte er eine der freizeit- und nachtlebensmäßig aktivsten Phasen hier miterleben!

Ungeahnter Jetlag, ungewohnte Menschenmassen, unbekanntes Essen (zum Glück war man mit 3 Kilo Haferflocken, H-Milch und Kabapulver im Handgepäck angereist, um seine tägliche Diät aufrecht erhalten zu können) und unser unsteter Lebenswandel setzten Jonas und seinem Schlafrhythmus während der ersten drei Tage dermaßen zu, dass wir unser Frühstück für gewöhnlich erst zwischen 14 und 15 Uhr einnahmen und sich unsere Aktivitätsphasen immer mehr in den Nachtbereich verschoben.

[Sanyat wird 22! und Nirjhar klatscht ihm, so will es die indische Tradition, seinen Geburtstagskuchen ins Gesicht..]

Trotzdem konnte er vermutlich eine ganze Palette an Eindrücken sammeln.. vom Kauf nagelneuer Ledercowboyschuhe über die erste Erfahrung von Dosa, Dal und Co. bis zum Besuch einer Gurudwara und der Begegnung mit aufdringlichen Händlern und sogar einem Elefanten, Delhi zeigte sich so vielseitig wie es seinem Naturell entspricht :)

Donnerstag, 18. November 2010

Agra.. mal wieder

Vor einigen Wochen hatte ich einen Fotoshooting-Termin mit Simon, einem Fotograf aus Deutschland der sich seit 5 Monaten auf Weltreise befindet und mich im Auftrag des ZEIT Studienführers (woooohooo) ablichten sollte (ich feature einen Bericht über Auslandssemester in der Ausgabe nächstes Jahr). Wir verbrachten einen Nachmittag am Safdarjang Tomb und aßen zusammen zu Abend. Anschließend verließ Simon Delhi Richtung Süden, um in Bangalore Fotos für eine Reportage über Lach-Yoga (muss genauso geisteskrank gewesen sein, wie es sich anhört!) zu machen..

[typischer die-Elite-von-Morgen-artiger ZEIT-Foto-Stil, irgendwie]

Zwei Wochen später erreichte mich eine Mail, ob ich mir zusammen mit ihm das Taj Mahal angucken wolle.. zwar hatte Simon geplant, bei seiner Reise gen Süden dort einen Zwischenstopp einzulegen, jedoch war ihm dieser Besuch aufgrund einer Verkettung unglücklicher Umstände, wie sie, so dünkt mir, in Beziehung mit Agra oder dem Taj sehr häufig auftreten, nicht vergönnt gewesen. Nichtsnutzig wie ich bin, sagte ich sofort zu.. und so kam es, dass ich wieder einmal nach Agra aufbrach. Simon sollte am 14. November um 3 Uhr nachts in Delhi ankommen und die Nacht in unserer Wohnung verbringen.. um 8 Uhr morgens wollten wir dann per Zug nach Agra weiterfahren. Allerdings bemerkte ich am Vorabend, dass ich die Tickets versehentlich für Dezember statt für November gebucht hatte und so standen wir plötzlich ohne Fahrkarten da.. hust, peinlich. Panische Versuche, noch irgendwas zu deichseln, scheiterten leider und so begab ich mich am 14. um 6.30 Uhr morgens, während Simon noch schlief, zusammen mit Sanyat schlaftrunken zum Bus Stand Kashmiri Gate, um irgendeine Reisegelegenheit klar zu machen. Dort erfuhren wir, dass Bus nach Agra am Sarai Kale Khan Busbahnhof im Süden der Stadt abfahren.. wir also heim, Simon kaltherzig aus dem Bett geworfen und wieder los.. aufgrund unseres Schlafmangels schien uns alles ganz und gar unwirklich. Es gelang uns jedoch tatsächlich, einen Bus um 9 zu erwischen.. und diese Fahrt, auf die wir uns schließlich doch noch begaben, sollte sich als eine der kräfteraubendsten überhaupt entpuppen! Erst geschlagene sechseinhalb Stunden später nämlich erreichten wir das 300 Kilometer von Delhi entfernt gelegene Agra! Und damit wurde unsere scherzhafte Vermutung, dass uns für die Besichtigung des Taj nur knappe zwei Stunden bleiben würden, Wirklichkeit.. mussten wir doch noch am frühen Abend einen Bus zurück nach Delhi nehmen, weil Simon gegen 2 Uhr nachts zum Flughafen aufbrechen musste, um nach Amman weiterzureisen. Ohne Umschweife begaben wir uns also vom Busbahnhof zum Taj.. kauften überteuerte Eintrittskarten, warteten in einer ellenlangen Schlange vor dem Eingang.. trotz allem kam jedoch kein Missmut auf und als das Taj Mahal endlich in unser Blickfeld kam, waren wir kurzzeitig sogar der festen Überzeugung, all die Mühen hätten doch gelohnt.

Wir beschauten das Bauwerk von außen und wandelten ein wenig durch die üppigen Grünanlagen.. gar wagten wir es, uns in die Reihe von Wartenden einzuordnen, welche sich – ich dramatisiere nicht! – einmal um das gesamte Gebäude schlang und schließlich auf einem Vorplatz der angrenzenden Moschee noch einige Schlaufen bildete. Als wir dem Eingang auch nach 20 Minuten noch nicht merklich näher gerückt waren, gaben wir auf.. die Grabkammer selbst ist sowieso nicht besonders sehenswert da dunkel und schmucklos.

Wir fuhren in die Stadt zurück und buchten einen Bus für die Heimfahrt.. die uns bis zur Abfahrt verbleibenden 10 Minuten nutzen wir für die hektische Besorgung von etwas Essbarem.. Dal Chawal, Palak Paneer.. alles safe, wobei uns leider nur die warmen Tüten mitgegeben wurden, nicht aber Löffel oder Teller. In dem Moment, in dem wir in Sichtweite des Busbahnhofs kamen, passierte uns unser Bus.. panisch rannten wir ihm nach und ich war sehr positiv überrascht, dass für uns angehalten wurde und man uns freundlich hereinwinkte. Im Inneren des Gefährts dann Ernüchterung: Alle Sitzplätze waren bereits belegt und der Durchgang mit Gepäck vollgestopft. Jedoch hieß man uns über Taschen und Koffer klettern und im Heck des Busses durch eine Türe in ein kleines Sleeper-Abteil klettern, welches mit Dreifachstockbetten ausgestattet war. Auch dort waren alle Betten belegt.. bis auf eines. Diese etwa 80 cm breite Lagerstatt sollte für die kommenden fünf Stunden unsere sein.. wir machten es uns also auf der Liege bequem, wobei die Tatsache, dass die Decke des Busses etwa 90 cm oberhalb des Bettes situiert war und uns bei einer Pritschenlänge von üppigen Einsachzig zu dritt damit ein Raum von 1,29 Kubikmetern zur Verfügung stand, doch ein wenig.. beklemmend war. Wir ließen uns den Spaß jedoch nicht verderben, auch nicht von den unter uns in ähnlich komprimiertem Aggregatzustand reisenden Nörglern, die uns anwiesen, gefälligst keine überflüssigen Gliedmaßen über den Rand unseres Territoriums hängen zu lassen.. Unbeirrt und mit Heißhunger machten wir uns ersteinmal über die erste Mahlzeit des Tages her, wobei wir Reis und Suppe aus Plastikbechern drückten und schlürften. Delhi erreichten wir schließlich gegen 00.30 Uhr und damit just in time für Simon und seinen Flieger.. immerhin musste er Indien nun nicht verlassen, ohne das Taj gesehen zu haben. Agra.. einfach immer wieder eine Reise wert.

Attentat in Ajaibpur.. und meine (temporäre) Enttäuschung ob der indischen Aggressivität

Letzten Sonntag begaben sich Amélie, Sanyat und ich auf einen kleinen Ausflug. Mit einem urtümlichen Passenger Train (eine Art Vorortzug) fuhren wir ins Nirgendwo, einfach gen Osten aus der Stadt. Erdnussschalenhaufen unter uns generierend lasen wir Zeitung und beobachteten andere Fahrgäste oder bewunderten die beruhigend ländliche Landschaft, durch die unser Zug ruckelte. Gegen ein Uhr stiegen wir in Ajaibpur aus, einem kleinen Dorf, der Bahnhof bestand aus wenig mehr als einem kleinen Ticket Office und zwei Sitzbänken, direkt an den Bahngleisen haben sich einige Dhabas angesiedelt.. das eigentliche Dorf liegt verborgen im Hinterland, die Umgebung besteht einzig aus nicht enden wollenden Maisfeldern.

Wir aßen in einer der Dhabas herrlich simpel und zugleich (etwas zu) feurig scharf zu Mittag, wobei sich ein Nest von Welpen unter unserer Sitzbank balgte und sich mit der Zeit etwa 20 Typen rund um das Lokal versammelten und uns mehr oder weniger unverhohlen beobachteten. Anschließend spazierten wir durch die Felder, wobei wir nur Kühen und ganze Kleinfamilien transportierenden Motorrädern über den Weg liefen.

Gegen 16 Uhr begaben wir uns nach Delhi zurück.. während der gesamten Rückfahrt mit unserem Bummelzug wurden wir von einem erneut sich zusammenrottenden Publikum, hauptsächlich aus Jungmännern bestehend, beäugt und auch fotografiert, was uns doch zunehmend auf die Nerven ging. Als eine ältere Frau die Typen aufforderte, uns ein bisschen in Ruhe zu lassen, wurde sie geradezu angemuckt, was für indische Standards, wo ein von zumindest nach außen hin großem Respekt geprägtes Hierarchieverhältnis zwischen den Altersgruppen besteht, ganz schön krass war. Erste Ahnungen einer aggressiven Atmosphäre.. als wir in Delhi aus dem Zug und auf die Gleise sprangen, um per Metro weiterzureisen, ereignete sich der nächste unerfreuliche Zwischenfall dieses Tages.. wir liefen an einer relativ dicht bevölkerten Straße entlang, als ein widerlicher Fettsack Amélie einfach im Vorübergehen ziemlich abartig anfasste!! Wir drehten uns um und schrien, was das solle.. und diese Kreatur, und das ist das schlimmste, schaute uns einfach nur mit komplett emotionslosem Gesicht..fast herausfordernd in die Augen.. à la „is was?“. So unverschämt!! Ekel und nicht abgebaute Aggression, zweiter Teil. Mit der Metro fuhren wir in die Innenstadt, wo Amélie und ich mit einer uns bekannten Drama-Society ein Theaterstück über Ambedkar und Gandhi anschauten. Ambedkar war eine Persönlichkeit des indischen Unabhängigkeitskampfes. Zwischen ihm und Gandhi kam es zu Meinungsverschiedenheiten, als es darum ging, die Zukunft der indischen Gesellschaft zu gestalten. Während Gandhi das Kastensystem beibehalten und lediglich die Unberührbarkeit abschaffen wollte, war Ambedkar, der selbst ein Kastenloser und damit Unberührbarer war, überzeugt, dass die Diskriminierung auf Kastenbasis weitergehen würde und die einzige Option die Auflösung jeglicher Kastenunterscheidung sei. Das Stück war wegen seiner vielen Gesangs- und Tanzszenen ganz cool, auch wenn ich von den Dialogen leider nichts verstand, da alles in Hindi war.. auch von dem der Vorführung folgenden Tohuwabohu bekam ich leider nicht alles mit, mir wurde später aber erklärt, was abging.. und die Reichweite der auch hier sich entladenden Aggressionen konnte ich sowieso erfassen, ohne den Inhalt des Geschreis zu verstehen. Ein vornehm gekleideter, etwa 65jähriger Mann erhob sich aus seinem Sitz und erklärte, er finde, Gandhi sei in dem Stück viel zu schlecht und nicht wahrheitsgetreu dargestellt worden. Es erhob sich einiges Gemurmel.. der Intendant begab sich daraufhin ans Mirkophon und meinte, er hätte das Recht, durch das Stück auszudrücken, was er wolle.. der dicke Alte erklomm ebenfalls die Bühne und griff sich das Mikro, um weiter und bereits merklich gereizt die Inszenierung zu kritisieren. Immer mehr Stimmen wurden laut, der Regisseur grapschte, den Alten zur Seite stoßend, wieder nach dem Mikrophon und schrie, wobei sich seine Stimme fast überschlug und aus den Lautsprechern nur noch lautes Fiepen erklang: „Censorship! Censorship!“ Einige weitere ältere Herren kletterten on Stage, viele Leute aus dem Publikum erhoben sich und näherten sich wie eine bedrohliche Masse dem Podium. Die Schauspieler, die im Hintergrund auf der Bühne gestanden hatten, drängten ebenfalls zu den Herren heran, so dass sich ein Zirkel aus aufgeregt rufenden und gestikulierenden Menschen bildete. Ich beobachtete das Geschehen mit den anderen zusammen von einer Galerie und war relativ froh darüber, da die ganze Szene mittlerweile einigermaßen gefährlich wirkte und Gewaltausbrüche wahrscheinlich schienen. Schockierend war die Intervention einiger etwa 20jähriger, die neben uns gesessen hatten und nun begannen, politische Parolen zu skandieren.. at the top of their voices! Selbst ein paar unserer Begleiter fingen an, mit aufgeregt-fröhlichen Gesichtern mitzuschreien.. was!? Zum Glück gelang es irgendwelchen Theaterangestellten, die Massen irgendwie zu beruhigen, sodass die meisten Leute den Saal verließen.. der Regisseur gab irgendwelche Statements durch das Mikro.. und ich wollte nur noch weg. Ich war so angeekelt.. es ist ja verständlich und auch unterstützenswert, dass solche religiös und politisch gefärbten Grundfragen die Bevölkerung auch 60 Jahre nach der Unabhängigkeitswerdung noch spalten und dass sie heiß, ja emotional diskutiert werden! Aber warum kann das nicht sachlich und ohne Aggression geschehen? Wieso sind die Menschen in diesem Land so swept away, so über-passioniert? Dass es in einer Umgebung wie dem Vorortzug zu solchen negativen, starken Emotionen kommt, ist traurig genug.. aber dort könnte man als Erklärung vielleicht allgemeine Enttäuschung mit dem Leben und den Bedingungen oder meinetwegen auch Ungebildetheit anführen.. aber wieso kann nicht einmal ein Theaterpublikum, das sich niveauvoll mit einem Thema auseinandersetzen will und sich vermutlich als intellektuell-interessiert und gebildet bezeichnen möchte, eine anständige Diskussion betreiben? Ich war so enttäuscht, so befremdet.. und solche Vorkommnisse sind ja keine Einzelfälle. Einige Tage zuvor hatten wir ein kleines Konzert von Radix in einem Park angehört.. das letzte Lied mussten sie (schon wieder) in Gegenwart einiger police wallas spielen, die auf die Bühne gerannt kamen, um die sich total daneben benehmenden, aggressiven Massen von schlaksigen Halbwüchsigen zu bremsen, die sich als um sich prügelnde Menschenhorde auf die Band zubewegte. All diese Verhaltensweisen machen ein sicheres und freies Leben unmöglich..jeder versucht, den anderem das Leben schwer zu machen und mit seiner Macht zu imponieren.. vom Busfahrer, der sich grundlos weigert, im Schlafabteil das Licht auszuschalten, bis zum Uni-Professor, der einen des Klassenzimmers verweist, wenn man sich nicht ehrfurchtsvoll erhebt, wenn er den Raum betritt.. Mädchen dürfen nach acht nicht auf die Straße, weil respektlose Widerlinge sich gern mal allerlei Freiheiten herausnehmen.. wieso soll ich mich an solche Bedingungen anpassen?! Warum muss die Gesellschaft hier von geheuchelten ultraorthodoxen Sittenvorschriften geprägt sein und von einem Konservativismus, der durch seine Ausmaße die menschlichen Verhaltensweisen unnatürlich und das Leben insgesamt wenig lebenswert macht? Überbevölkerung und Ressourcenknappheit können bestimmt als Faktoren genannt werden – sie erhöhen den (Erwartungs-)Druck auf den Einzelnen und führen zu gesteigerter Reizbarkeit (..ich muss an Experimente mit vielen Ratten auf engstem Raum denken..). Das sind Rahmenbedingungen, die man nicht ändern kann, jedenfalls nicht kurzfristig (man könnte versuchen, das Miteinander zu dezentralisieren.. die ländlichen Gebiete Indiens sind so dünn besiedelt..und die Städte sind der reinste Hexenkessel). Aber es gibt noch viele andere Ursachen für die Unfreiheit des Individuums im indischen Alltag.. zum Beispiel die vollkommene Missachtung des Konzepts der Privatsphäre.. Nachbarn lugen wie unfähige Spione über Hausmauern und äugen misstrauisch wenn man erst spätnachts (22.30h) nach Hause kommt.. was „die anderen“ (die Gesellschaft, die Nachbarn, die Kastenmitglieder, die potentiellen zukünftigen Ehemänner und deren Familien) von einem denken nimmt einen starken Einfluss auf Verhalten und Entscheidungen.. was zu einer Art auf dezente Außenwirkung und gesellschaftliche Unauffälligkeit ausgerichtetem Spießertum führt.. unfassbar auch der Fall, als Sanyat und ich bei ihm daheim und Jodhpur waren und er eine alte Schulfreundin angerufen hat, ob sie sich mit uns treffen wolle.. das ging nicht, weil ihre Eltern auf Ehemannsuche sind und ihre Aussichten sich verschlechtern könnten, wenn bekannt wird, dass sie sich mit einem männlichen Wesen getroffen hat.. wie negativ sich die ewige Angst auswirkt, dass Jungs und Mädchen eventuell unbeaufsichtigt in Kontakt miteinander kommen könnten, wird ebenfalls deutlich: Die Mädchen aus meinem Semester sind alle über 20 Jahre alt und trotzdem verhalten sich viele so unfassbar kindisch und giggelig-kichernd-unsicher-flirty-flirty-typisch-mädchenhaft gegenüber den Jungs, dass es schon nicht mehr schön ist! Das sind diejenigen, die Zeit ihres Lebens auf reinen Mädchenschulen waren und für die Uni die erste gemischtgeschlechtliche Bildungsinstitution ist.. die (ich rede aus Erfahrung) sich innerhalb von 2 Wochen Hals über Kopf verlieben, unsterblich.. in mindestens drei verschiedene Typen (die ihnen durch ein bisschen Small Talk mehr Aufmerksamkeit geschenkt haben als je zuvor ein anderes männliches Wesen, schätze ich)..das sind ja alles normale Verhaltensweisen.. nur eben ..für 15jährige! Eine weitere Quelle für suppressive Atmosphäre in Indien ist bestimmt die große Zahl an religiösen ..wenn nicht Fanatikern so doch Extremisten mit superkonservativen Ansichten.. die aufgrund der Vielzahl an Glaubensrichtungen zu einem Fundamentalismus und starker Abgrenzung von den anderen Gruppen neigen. Ähnlich ist es um die Identität ethnischer Minderheiten oder Angehöriger einer Region bestellt – wegen der Vielfalt an Kulturen und Traditionen haben sich viele Gemeinschaften gebildet, die durch ein starkes Wir-Gefühl zusammengehalten werden und nicht besonders auf Interaktion mit Angehörigen anderer Gruppen aus sind, auch wenn sie im Alltag überall miteinander konfrontiert werden. Es gibt unzählige und vor allem mir unbekannte Gründe und Erklärungsmöglichkeiten, warum das Leben hier so ist, wie es ist.. nur bin ich manchmal viel zu müde, überhaupt darüber nachzudenken .. dann ist das alles nur noch traurig, hoffnungslos und enttäuschend..

Dienstag, 16. November 2010

Diwali - OM JAY LAKSHMI MATA

Am 5. November war Diwali, das Fest der Lichter, eines der drei wichtigsten Feste in Indien. Anhänger aller Religionen feiern anlässlich Rams sagenhafter Rückkehr von Sri Lanka, wo er seine vom Dämonen Raavan entführte Frau Sita befreien musste.. so wie wir im Advent Lichter anzünden, werden hier Lampen aus kleinen, mit Ghee gefüllten Tontöpfchen (Diyas) aufgestellt. Bemerkenswert und charakteristisch für die Loslösung des heutzutage gelebten Hinduismus, der durch (blind) ausgeführte Rituale gekennzeichnet ist, von den spirituell-philosophischen Wurzeln: In der am Abend ausgeführten Pooja werden nicht Rama oder Sita verehrt, sondern drei ganz andere Gottheiten: Lakshmi, die Göttin des Reichtums, Ganesh, der Gott des Wissens und des Glücks und Sarasvati, die Bildungsgöttin.. vermutlich die drei Dinge, die sich der Durchschnittsinder und vielleicht auch der Durchschnittsmensch an sich für sein Leben wünscht.

Am 4. November feierten wir in unserer Wohnung Choti Diwali (Klein-Diwali am Vorabend des eigentlichen Festes) mit Aarohi, einer Theater- und Sozialarbeits-Society vom Hindu College..

[Pooja-Zubehör.. von Kokosnuss über Jaggery-Honig-Nuss-Süßigkeiten-Opfergabe, Haldi (heiliges Gewürz) und ein bisschen rotes Pulver und Reis, mit welchem ein Stirnpunkt als Segenszeichen auf die Stirn gepappt wurde..]

An Diwali besuchten uns Isha, Abhishek und Sanyat (von links).. wir kochten zusammen (Samosas! Pani Puri! Poha! Awesome!) und führten die traditionelle Pooja durch, während welcher ein Aarti zu Ehren Lakshmis gesungen wird (für Abhishek die 4. Pooja an diesem Tag, nachdem er bereits einige daheim / im Laden seines Vaters / im Tempel hinter sich gebracht hatte)..

[..danach spielten wir Karten und Gitarre :)]