Montag, 28. März 2011

unsre Hausboat-Tour

[Portrait Indira Gandhis]

Am nächsten Morgen erhoben wir uns ohne allzugroße Mühe von der Dil‘schen Lagerstatt und entflohen dem stickigen Gemäuer, um einen Spaziergang durch die noch angenehm kühlen Straßen des Vororts zu machen. Dank des dichten Palm- und Bananenbestandes und der sich darunter duckenden, relativ weit voneinander entfernt stehenden Häuschen wirkte die Wohngegend eher wie ein idyllisches Dorf. Nach dem obligatorischen Appam-Frühstück und einem unfeierlichen Abschied vom verpennten Dil, der uns mit roten, wässrigen Augen nachblickte und vermutlich nur den Gedanken hatte, dass er nun dringend neue Kundschaft anlocken musste, um seine täglichen Räusche zu finanzieren, begaben wir uns gegen 10 Uhr nach Alappuzha. Dort saßen wir erstmal eine ganze Weile im KTDC Büro herum, weil die Angestellten nicht zu Potte kamen. Sanyat war darüber bereits leicht verärgert und meinte, er werde exakt 22 Stunden an Bord des Hausboots verbringen, komme was wolle, er zahle ja schließlich dafür. Nachdem wir uns die Anreise zum Landungssteg dann irgendwie selbst organisieren mussten, obwohl uns immer wieder versichert wurde, wir sollten ruhig sitzen bleiben, bestiegen wir gegen 12 Uhr endlich unsere neue, mobile Unterkunft.

Gerade im Kontrast zu Dils Schabracke waren wir vom zur Verfügung stehenden Komfort relativ geplättet: Ein Steuermann und ein Koch standen zur ständigen Verfügung, auf dem Deck erwarteten uns Liegestühle und in der Kajüte frische Handtücher. Außerdem wurde uns gleich bei Ankunft eisgekühlte Limonade (Nimbu Pani) angeboten..

Zunächst schipperten wir eine Weile auf den Punnamada-Wassern, einem sehr breiten Backwater-Arm herum, der eher einem kleinen See glich. Dabei hatten wir Gelegenheit, die in kleinen bunten, direkt am Ufer gebauten Häuschen lebenden Menschen bei ihrem täglichen Geschäft zu beobachten.. Frauen wuschen Geschirr oder Babys im Süßwasser vor ihrer Tür, auf den Kanälen verkehrten Männer mit Stocherkähnen, in denen sie Sand oder Passagiere transportierten. Gegen 14 Uhr hielten wir am Ufer, im Schatten einiger Palmen, und Sanyat und ich erkundeten die Umgebung – wir unterhielten uns (aufgrund fehlender gemeinsamer Sprache nur sehr kurz) mit einem vor seiner Hütte hockenden Bauern, der an einem Glas Scotch on the Rocks nippte. Einige Meter weiter beobachteten wir eine Schar Hühner, die in ihrem mit Muschelschalen gepflasterten Gehege dösten. Der Traum, eine Kokosnuss zu pflücken, wurde zwar leider nicht realisiert, jedoch versuchten wir uns darin, an einer Palme emporzuklettern.

Das Einschlagen einer durch ein Reisfeld führenden Abkürzung stellte sich als Fehler heraus, da wir als ungeübte Dilettanten weitaus weniger elegant auf den schmalen, die Reispaddys voneinander trennenden Dämmen balancierten als die leichtfüßig daherschwebenden Bauern, die teilweise gar noch ganze Säcke an Düngemitteln oder Reiskörnern auf ihren Köpfen transportierten. Nachdem Sanyat bei einem riskanten Sprungmanöver fast bis zum Knie in schwarzgrünem Schlick versunken war, ließen wir dieses Unterfangen vernünftigerweise bleiben. Auf dem Rückweg zum Boot fischten wir eine uns treibenderweise passierende Mango aus dem Wasser. Sie war noch ziemlich roh, grün und hart, wurde uns aber kurz darauf von unserem Koch serviert – garniert mit rotem Chilipulver, überraschenderweise sehr lecker!

[GENIALES Mittagessen: weicher, fluffiger Kerala-Reis mit grünem Gemüse, Saambar und Papad]

Nach dem Mittagessen setzten wir unsere Tour fort. Irgendwie war ich aber relativ bald langsamen Geschipper und dem Anblick der stets gleichbleibenden Kulisse ermüdet – Hausbootfahren ist eher was für Pauschalreisende 50+, glaube ich. Eine mehrstündige Kanutour hätte uns vermutlich mehr Einblicke in das Leben an und auf den Backwaters ermöglicht, da mit den schmäleren Booten auch engere Kanäle befahren werden können, und wäre dabei noch billiger gewesen. Das Problem mit dem Hausboot war, dass wir – obwohl uns das Gegenteil zugesichert worden war – keinerlei Mitbestimmungsrechte hatten. Wo wir anhalten und was wir tun würden, war alles bereits vorgeplant und entschieden und wenn wir Fragen stellten oder Vorschläge machten, wurden diese mit einem gutmütigen Lächeln und einem freundlichen „yes, no problem“ abgenickt. Wenigstens konnten wir den Steuermann gegen 16 Uhr überzeugen, anzuhalten, damit wir eine Runde schwimmen gehen konnten. Wagemutig sprangen wir in das dunkle Wasser, obwohl wir wenig zuvor eine gelbschwarze Schlange durchs Wasser gleiten gesehen hatten.

[auf den Kanälen trieben unzählige mobile Wasserpflanzen, genannt floating trees.. Sanyat verweigerte sich des im Namen der Wissenschaft initiierten Projekts, die Essbarkeit des Gewächses zu erproben]

[die skurille Igel-Frucht, die eigentlich ein Gemüse ist]

Schon um 17.30 Uhr musste das Boot halten, da motorisierter Verkehr auf den Backwaters ab Sonnenuntergang verboten ist. Zwei Stunden spazierten wir durch die wieder sehr dorfartige, grüne Wohngegend und kappten in einem Vorgarten einen Bananenwedel, welchen wir als Tellerersatz fürs Abendessen nutzen wollten. Nachdem wir gespeist hatten, zogen sich unsere Bediensteten zum Schlafen in die Küche zurück und auch rund um uns, am Ufer, in den Häusern und auf den umgebenden Hausbooten wurde es still, so dass wir bald in beruhigender Dunkelheit und nur von Vogelschreien unterbrochener Stille auf dem schwarzen Wasser dümpelten. Wir unterhielten uns trotz großer Moskitodichte bis Mitternacht, von unseren Liegestühlen aus die Spiegelungen der Palmen in der sich leicht kräuselnden Wasseroberfläche beobachtend.

Alappuzha mit Dil & Daughter - Thumpoli Beach

[Frühstück am Busbahnhof Kochi.. Appam - leicht wabbelige Reiskuchen, die teils an Omelettes erinnern, teils an rohe Qualle]

Aufgrund unserer nur mittelmäßigen Begeisterung für Kochi reisten wir schon am nächsten Tag ab in Richtung des 60 Kilometer südlich gelegenen Alappuzha, auch genannt Alleppey.

Dort versuchten wir gleich nach Ankunft am Busbahnhof, uns ein Hausboot klar zu machen. Wir diskutierten mit einigen skrupellosen Anbietern, die für eine 22-Stunden-Tour schamlos Preise um die 90 Euro verlangten. Schließlich entschlossen wir uns für den Service der staatlichen Kerala Tourism Development Corporation (KTDC), nachdem wir den Preis auf annehmbare 60 Euro heruntergehandelt hatten. Vom ganzen Gefeilsche relativ ermüdet ließen wir uns anschließend auf eine sehr günstige Homestay-Unterkunft mit Namen „Dil and Daughter“ ein, die uns der Besitzer Dil mittels seiner kniestigen Visitenkarten anpries. Diese Entscheidung brachte sowohl einige unschätzbare Einblicke in das Alltagsleben in den Backwaters als auch etwas gruselige Erfahrungen mit Dil und seinen anderen Gästen mit sich.. Bei unserer Ankunft stellte sich Dils Anwesen als ein etwas in Mitleidenschaft gezogenes Holzhäuschen heraus, an welches eine halbfertige Betonbaracke geklatscht worden war. Statt Gartenzwergen dekorierten leere Kingfisher-Bierflaschen die Terrasse, unser Zimmer bestand in einem fensterlosen Loch, welches bis auf ein mit benutzten Bettlaken bezogenes Bett leer war. Dils Daughter war übrigens nirgendwo zu sehen und bald fanden wir heraus, dass sie 10 Jahre alt und bei Dils von ihm geschiedener Ehefrau im 600 Kilometer entfernten Hyderabad lebte. Generell hatten wir nicht unbedingt das Gefühl, länger mit Dil im Garten sitzen zu wollen und so ließen wir uns den Weg zum nahegelegenen Strand erklären und machten uns auf den Weg. Die Entfernung von zehn Minuten Fußmarsch entpuppte sich schließlich als eine Strecke von etwa vier Kilometern, die wir aber dank der interessanten Einblicke in Vorgärten, Strohhütten und Kirchen völlig ohne Klagen zurücklegten. Schließlich erblickten wir von uns einen der schönsten und einsamsten Strände, die ich je gesehen habe: Thumpoly Beach, eine etwa 200 Meter lange Bucht, welche bis auf einige im Schatten der Palmen Karten spielende Fischer vollkommen menschenleer war!

[zunächst kletterten wir in eines der im Schatten der Palmen liegenden Fischerboote und spielten Karten, belächelt von den unweit von uns Fiesta haltendenen Fischern]

[rieeesige Muscheln!!]

[Matrose Sanyat lässt auf Anweisung von Kaptan Singh das Boot zu Wasser]

Nach ein paar Stunden spazierten wir dann zurück zu Dils Häuschen, wobei der Sand zwischen unseren Zehen und die klitschnass an uns klebenden Tshirts ein wahres Badeurlaub-Feeling aufkommen ließen. Dil fanden wir mit zwei etwa 50jährigen französischen Homestay-Gästen im Vorgarten sitzend vor, wo die drei gemütlich kifften. Irgendwie machte die Bude einen immer schäbigeren Eindruck..

Zum Abendessen fuhren wir nach Alappuzha City. Das Städtchen wirkte relativ provinziell und der Strand war gegen 20 Uhr schon stockdunkel und menschenleer, so dass wir ungestört dem Wellenrauschen lauschen konnten. Wir philosophierten über den Lebenssinn einiger großer Krebse, die, sobald das Wasser sich nach dem Brechen einer Welle etwas zurückzog, aus ihren Löchern heraushüpften und in einem Affenzahn zu einem anderen, nahegelegenen Loch rasten, welches es zu erreichen galt, bevor die nächste Flut sie erfassen konnte. Einleuchtende Einsichten waren uns leider nicht vergönnt. Nach einem kleineren Obstsalat mit Eis war es dann an der Zeit, zu Dils Anwesen und in unser müffeliges Zimmer mit dem wenig vielversprechenden Muffelbettlaken zurückzukehren. Das Zubettgehen zögerten wir noch ein wenig heraus, indem wir im Garten in der Hängematte lagen, wo wir uns stundenlang unterhielten, über uns einige Palmenblätter und der dunkle Sternenhimmel. Gestört wurden wir dabei einzig von einer wahrhaft überdimensionalen Ratte von der Größe eines Stallhasens, welche sich mit lautem Geraschel aus einem nahegelegenen Busch freikämpfte und dann seelenruhig quasi unter unseren in der Luft hängenden Popos hindurchschlenderte. Später bereitete uns auch der relativ berauschte, rotäugig an uns vorbeischlurfende Dil eine Gänsehaut, der als immer wieder verschwindender Schatten im Garten sein Unwesen trieb..

Montag, 21. März 2011

Kochi

[Erbeerfrühstück im Zug]

Gegen 11.30 Uhr kamen wir in der Hafenstadt Kochi (bzw. Cochin) in Kerala an. Von Ernakulam, Kochins modernem Festlandviertel, setzten wir mit der Fährt zur auf einer Insel gelegenen Altstadt Fort Cochin über. Dort buchten wir uns in einem der europäisch aussehenden, uralten Gebäude ein, die den nördlichen Teil der Insel einnehmen. Zu erklären ist deren Präsenz durch Kochis bewegte Geschichte: Von 1500 bis etwa 1650 hatten die Portugiesen Kochi zu ihrem wichtigsten Handelshafen in Südindien gemacht, danach hatten die Holländer die Stadt eingenommen. Nur 100 Jahre später wurde sie von Tipu Sultan, einem aus dem Norden Indiens eingewanderten muslimischen Herrscher, erobert, welcher viele Gebäude zerstörte. Weitere 20 Jahre darauf geriet Kochi schließlich in britische Hand, welche – sich der strategisch günstigen Lage der Stadt ebenfalls bewusst – den Hafen für verstärkten Handel mit Übersee weiter ausbauten.

[auch die Chinesen haben schon früh mit Kochi Handel betrieben: von hier wurden Zimt, Chilis und andere Gewürze in andere Länder Asiens exportiert.. die Chinesen brachten im Gegenzug im 13. Jahrhundert die traditionellen chinesischen Fischernetze nach Kochi]

Ein erster Rundgang durch die sonnigen Gassen stellte sich leider als ermüdend und langweilig heraus. Zwar sehen die Häuschen mit ihren gepflegten Vorgärten voll Sonnenblumen sehr nett und auch ein bisschen deplatziert aus.. doch besonders viel zu sehen gab es für uns nicht, vor allem da die Straßen – eben auch echt europäisch – wie ausgestorben lagen und im näheren Umkreis ausschließlich Souvenirstände, mit Continental Food werbende Touristenrestaurants und Hotels zu finden waren.

Nach einem enttäuschten Mittagsschlaf mieteten wir uns zwei Fahrräder, mit welchen wir die weitere Umgebung auskundschafteten. Im Rahmen dieser Tour kamen wir unter anderem zu einem holländischen Palast (auch ein wenig langweilig.. naja, was stellt man sich unter solch einem Titel auch schon Großartiges vor..?) und einer der ältesten Synagogen Indiens, welche schon um 1560 erbaut wurde. Das jüdische Viertel durchquerten wir übrigens unmittelbar nach dem muslimischen.. und kurz darauf tauchte vor uns eine der zahlreichen, vom Einfluss des Christentums in Südindien zeugenden Kathedralen auf. Wie Kochi wegen seiner wirtschaftlich vorteilhaften Lage und der damit zusammenhängenden großen Zahl an Einwanderern zugleich das Einfallstor für verschiedene Religionen darstellte, war dann doch eine relativ beeindruckende Vorstellung. Alles in allem jedoch war unser Aufenthalt in Kochi die bei Weitem größte Enttäuschung der Reise.

[die um 1660 erbaute Paradesi-Synagoge]