[Portrait Indira Gandhis]
Am nächsten Morgen erhoben wir uns ohne allzugroße Mühe von der Dil‘schen Lagerstatt und entflohen dem stickigen Gemäuer, um einen Spaziergang durch die noch angenehm kühlen Straßen des Vororts zu machen. Dank des dichten Palm- und Bananenbestandes und der sich darunter duckenden, relativ weit voneinander entfernt stehenden Häuschen wirkte die Wohngegend eher wie ein idyllisches Dorf. Nach dem obligatorischen Appam-Frühstück und einem unfeierlichen Abschied vom verpennten Dil, der uns mit roten, wässrigen Augen nachblickte und vermutlich nur den Gedanken hatte, dass er nun dringend neue Kundschaft anlocken musste, um seine täglichen Räusche zu finanzieren, begaben wir uns gegen 10 Uhr nach Alappuzha. Dort saßen wir erstmal eine ganze Weile im KTDC Büro herum, weil die Angestellten nicht zu Potte kamen. Sanyat war darüber bereits leicht verärgert und meinte, er werde exakt 22 Stunden an Bord des Hausboots verbringen, komme was wolle, er zahle ja schließlich dafür. Nachdem wir uns die Anreise zum Landungssteg dann irgendwie selbst organisieren mussten, obwohl uns immer wieder versichert wurde, wir sollten ruhig sitzen bleiben, bestiegen wir gegen 12 Uhr endlich unsere neue, mobile Unterkunft.
Gerade im Kontrast zu Dils Schabracke waren wir vom zur Verfügung stehenden Komfort relativ geplättet: Ein Steuermann und ein Koch standen zur ständigen Verfügung, auf dem Deck erwarteten uns Liegestühle und in der Kajüte frische Handtücher. Außerdem wurde uns gleich bei Ankunft eisgekühlte Limonade (Nimbu Pani) angeboten..
Zunächst schipperten wir eine Weile auf den Punnamada-Wassern, einem sehr breiten Backwater-Arm herum, der eher einem kleinen See glich. Dabei hatten wir Gelegenheit, die in kleinen bunten, direkt am Ufer gebauten Häuschen lebenden Menschen bei ihrem täglichen Geschäft zu beobachten.. Frauen wuschen Geschirr oder Babys im Süßwasser vor ihrer Tür, auf den Kanälen verkehrten Männer mit Stocherkähnen, in denen sie Sand oder Passagiere transportierten. Gegen 14 Uhr hielten wir am Ufer, im Schatten einiger Palmen, und Sanyat und ich erkundeten die Umgebung – wir unterhielten uns (aufgrund fehlender gemeinsamer Sprache nur sehr kurz) mit einem vor seiner Hütte hockenden Bauern, der an einem Glas Scotch on the Rocks nippte. Einige Meter weiter beobachteten wir eine Schar Hühner, die in ihrem mit Muschelschalen gepflasterten Gehege dösten. Der Traum, eine Kokosnuss zu pflücken, wurde zwar leider nicht realisiert, jedoch versuchten wir uns darin, an einer Palme emporzuklettern.
Das Einschlagen einer durch ein Reisfeld führenden Abkürzung stellte sich als Fehler heraus, da wir als ungeübte Dilettanten weitaus weniger elegant auf den schmalen, die Reispaddys voneinander trennenden Dämmen balancierten als die leichtfüßig daherschwebenden Bauern, die teilweise gar noch ganze Säcke an Düngemitteln oder Reiskörnern auf ihren Köpfen transportierten. Nachdem Sanyat bei einem riskanten Sprungmanöver fast bis zum Knie in schwarzgrünem Schlick versunken war, ließen wir dieses Unterfangen vernünftigerweise bleiben. Auf dem Rückweg zum Boot fischten wir eine uns treibenderweise passierende Mango aus dem Wasser. Sie war noch ziemlich roh, grün und hart, wurde uns aber kurz darauf von unserem Koch serviert – garniert mit rotem Chilipulver, überraschenderweise sehr lecker!
[GENIALES Mittagessen: weicher, fluffiger Kerala-Reis mit grünem Gemüse, Saambar und Papad]
Nach dem Mittagessen setzten wir unsere Tour fort. Irgendwie war ich aber relativ bald langsamen Geschipper und dem Anblick der stets gleichbleibenden Kulisse ermüdet – Hausbootfahren ist eher was für Pauschalreisende 50+, glaube ich. Eine mehrstündige Kanutour hätte uns vermutlich mehr Einblicke in das Leben an und auf den Backwaters ermöglicht, da mit den schmäleren Booten auch engere Kanäle befahren werden können, und wäre dabei noch billiger gewesen. Das Problem mit dem Hausboot war, dass wir – obwohl uns das Gegenteil zugesichert worden war – keinerlei Mitbestimmungsrechte hatten. Wo wir anhalten und was wir tun würden, war alles bereits vorgeplant und entschieden und wenn wir Fragen stellten oder Vorschläge machten, wurden diese mit einem gutmütigen Lächeln und einem freundlichen „yes, no problem“ abgenickt. Wenigstens konnten wir den Steuermann gegen 16 Uhr überzeugen, anzuhalten, damit wir eine Runde schwimmen gehen konnten. Wagemutig sprangen wir in das dunkle Wasser, obwohl wir wenig zuvor eine gelbschwarze Schlange durchs Wasser gleiten gesehen hatten.
[auf den Kanälen trieben unzählige mobile Wasserpflanzen, genannt floating trees.. Sanyat verweigerte sich des im Namen der Wissenschaft initiierten Projekts, die Essbarkeit des Gewächses zu erproben]
[die skurille Igel-Frucht, die eigentlich ein Gemüse ist]
Schon um 17.30 Uhr musste das Boot halten, da motorisierter Verkehr auf den Backwaters ab Sonnenuntergang verboten ist. Zwei Stunden spazierten wir durch die wieder sehr dorfartige, grüne Wohngegend und kappten in einem Vorgarten einen Bananenwedel, welchen wir als Tellerersatz fürs Abendessen nutzen wollten. Nachdem wir gespeist hatten, zogen sich unsere Bediensteten zum Schlafen in die Küche zurück und auch rund um uns, am Ufer, in den Häusern und auf den umgebenden Hausbooten wurde es still, so dass wir bald in beruhigender Dunkelheit und nur von Vogelschreien unterbrochener Stille auf dem schwarzen Wasser dümpelten. Wir unterhielten uns trotz großer Moskitodichte bis Mitternacht, von unseren Liegestühlen aus die Spiegelungen der Palmen in der sich leicht kräuselnden Wasseroberfläche beobachtend.