Mittwoch, 4. Mai 2011

MCD-Machenschaften, Jan Lokpal Bill, free Binayak und der Skandal am IIIT Allahabad

Letzte Woche befanden wir uns wie des Morgens auf dem Weg zur Uni, als Sanyat beim Durchqueren der Outram Lines auffiel, dass diese einen ungewöhnlich sauberen und übersichtlichen Eindruck machten. Üblicherweise ist die Straße nämlich von Obsthändlern, Momo Wallas, Scooties, Obdachlosen, Müll, Straßenhunden, Fahrrädern, der ein oder anderen Kuh, parkenden Autos und Omelette-Ständen gesäumt, so dass für den ohnehin vom aggressiven Verkehrschaos mit den dicht an dicht drängenden Fahrzeugen und einem ohrenbetäubenden Hup- und Klingelkonzert gefährdeten Fußgänger kaum ein Durchkommen ist. Wir fragten einen der Gemischtwarenhändler, was um alles in der Welt denn los sei. „MCD.“ Ja. Und weiter? Wir erfuhren, dass einige Angestellte der Municipal Corporation Delhi (MCD) am Vortrag vorbeigekommen waren, um „hafta“ (Hindi für „Woche“, wird umgangssprachlich auch für die regelmäßig zu zahlenden Schmiergeldbeträge genutzt) einzusammeln und dass diese dabei angekündigt hatten, dass am darauffolgenden Tag eine offizielle Kontrolle der Ordnungspolizei durchgeführt werden würde. Eigentlich ein recht nettes, irgendwie symbiotisches System.. die Aufseher kassieren Schmiergeld und die Straßenhändler und Ladenbesitzer dürfen dafür ungestört ihrem Geschäft nachgehen. Man könnte halt nur in Erwägung ziehen, derlei Ordnungsbestimmungen gleich vollkommen abzuschaffen, wenn sich sowieso kein Mensch dran hält und das Leben auch ohne Vorschriftsmäßigkeit funktioniert. Durch eine in solch organisiertem, perfekt abgestimmten Ausmaß stattfindende Aushöhlung der Regeln und Gesetze wird nämlich nichts weiter erlangt als ein vollständiger Autoritätsverlust des Staates..

[der Obsthändler unseres Vertrauens at Outram Lines.. an gewöhnlichen Tagen bildet seine Auslage einen festen Bestandteil des Straßenbildes]

Das Thema Korruption kommt im indischen Alltag sehr häufig auf. Nicht nur die seitenlangen Berichterstattungen der Tageszeitungen über die neusten politischen Bestechungsskandale, Steuerhinterziehungen in Billionenhöhe (several crore rupees) und über „Uncle Judges“ (Richter, deren Verwandte am gleichen Gericht als Anwälte tätig sind und die deswegen unter dem Verdacht der Vetternwirtschaft stehen) rufen einem das hohe Korruptionsniveau immer wieder ins Gedächtnis. Auch im Jurastudium war das indische Korruptionsproblem oft Thema.. Wir haben den Prevention of Corruption Act, 1988 diskutiert und über die Tatsache, dass gegenüber Polizisten gemachte Aussagen vor Gericht generell unzulässige Beweismittel darstellen (da einem police officer nicht getraut und von ihm schlechthin kein objektives Verhalten erwartet werden könne). Vor ein paar Wochen gab es außerdem einigen Aufruhr um Anna Hazare (Anna ist übrigens nicht etwa ein Vorname, sondern heißt „großer Burder“ auf Marathi), einen Sozialaktivisten, welcher in einen Hungerstreik getreten war, um die Regierung dazu zu zwingen, die umstrittene „Jan Lokpal Bill“ gemeinsam mit einem Gremium aus Vertretern gemeinnütziger Organisationen zu überarbeiten und noch dieses Jahr zu beschließen. Das Wort „Lokpal“ bedeutet Ombudsmann. Ein solcher soll zur Bekämpfung von Korruption in allen drei Staatsgewalten und auf allen Ebenen, vom Supreme Court bis zum Geimeinderat, eingesetzt werden. Der entsprechende Gesetzesentwurf existiert schon seit über 40 Jahren und wurde immer wieder modifiziert, verworfen, neu diskutiert und nie beschlossen. Was offensichtlich nach einer guten Idee klingt, wurde im aktuellen Gesetzesentwurf in sehr radikal und damit weniger klugen Vorschriften umgesetzt. Die Mitglieder des Antikorruptionskomitees sollen von Männern mit „unimpeachable integrity“ benannt werden, z.B. von Nobelpreisträgern und senior most Supreme Court Judges. Sie haben nicht nur die Befugnisse eines Polizeibeamten und können etwa, in Zusammenarbeit mit der staatlichen Ermittlungsbehörde, dem Central Bureau of Investigation, welchem sie übergeordnet sein sollen, Haussuchungen durchführen, sondern sind auch Ankläger und Richter zugleich. Es soll den Ombudsmännern zustehen, Gefängnisstrafen zwischen fünf Jahren und lebenslänglich für die so der Korruption schuldig Befundenen auszusprechen. Dass dadurch Grundprinzipien der Demokratie (Legitimation, Gewaltenteilung, fairer Prozess) verletzt werden, ist offensichtlich. Noch dazu wird in dem von einer Gruppe von Nichtregierungsorganisationen eingereichten Entwurf vorgeschlagen, finanzielle Belohnungen auszuloben für Leute, die bei den Ombudsmännern Beschwerde gegen eine andere Person einreichen. Diese Vorschrift würde jedoch, so wird kritisiert, zu einer Atmosphäre des Misstrauens führen. Allgemein scheinen die Sozialaktivisten durch ihre Frustration ob der jahrzehntelangen Unentschlossenheit des Parlaments reichlich über das Ziel hinausgeschossen zu sein. Sanyat meinte außerdem, Indien habe bereits eine ausreichende Anzahl an Institutionen eingerichtet und Vorkehrungen getroffen, um der Korruption entgegenzuwirken. Diese sollten eher optimiert bzw. überhaupt genutzt werden, statt überflüssigerweise ein neues, übermächtiges Gremium einzusetzen.

[zur Illustration: eine Police-Walla-Unifom.. Rohit auf unserer mardi-gras-alias-fat-shukravar-WG-Party, welche Mitte März stattgefunden hat]

Kürzlich haben wir uns auch darüber unterhalten, wie ein korruptes System den Einzelnen gegen seinen Willen korrupt zu machen vermag. Wir redeten über ein Interview mit dem Chief Justice des Supreme Court of India, in welchem er meinte, es sei notwendig für das Bestehen und optimale Funktionieren der Demokratie, dass die Entscheidungsfindung im Ernennungsprozess für High-Court- und Supreme-Court-Judges nicht offengelegt werde. Obwohl der Right to Information Act den Bürgern das Recht gibt, jede staatliche Einrichtung nach Offenlegung ihrer Daten, Entscheidungsprozesse und allgemeiner Informationen zu fragen, stehe dieses Recht nicht in Bezug auf die obersten Gerichte zu Verfügung. Nur durch die Geheimhaltung der infrage kommenden Kandidaten könne politische Einflussnahme und Machtkalkül verhindert werden. Dabei ist doch offensichtlich, dass gerade bei einem solchen hinter verschlossen Türen stattfindenden Ablauf Einiges an politischer Beeinflussung stattfindet. Wir stellten fest, dass das ganze indische System einfach so verkommen ist, dass selbst der höchste Richter im Land, sobald es um das eigene Amt geht, plötzlich unhaltbare Standpunkte einnimmt. Sanyat meinte, dass es schwer sei, in einem korrupten System wie Indien, nicht-korrupt zu bleiben. Wir redeten darüber, dass er selbst ja auch manchmal krumme Wege gehe. An der Faculty of Law ist es beispielsweise normal, sich am Ende des Monats beim Lehrer um attendance zu bemühen. Man braucht 70% Anwesenheit, um für die Exams am Semesterende zugelassen zu werden – sollte man daher unterhalb des Prozentsatzes liegen, fragt man eben entweder den Prof oder dessen Lieblingsschüler, doch gnädigst ein bisschen extra attendance auszuteilen oder man bittet seine Freunde, fake-Anwesenheitsunterschriften zu geben. Ich meinte, es sei ja etwas anderes, gegen (in Anbetracht der Unterrichtsqualität sowieso vollkommen) sinnlose Regeln zu verstoßen, ohne dabei jemandem zu schaden oder sich auch nur amoralisch zu verhalten, oder ob man Leute an Posten kommen lässt, die sie nicht verdient haben oder verhindert, dass Leute Posten einnehmen können, die ihnen zustehen. Sanyat erwiderte, er sei ja auch in anderen Fällen korrupt, besteche z.B. Schaffner wenn er kein Fahrticket habe. Wir stellten fest, dass man, um eine einflussreiche politische Position zu erreichen, von welcher aus man die Bedingungen im Land ändern und effektiv gegen Korruption vorgehen könne, eigentlich unweigerlich selbst korrupt werden muss, denn sonst kann man im politischen System Indiens unmöglich aufsteigen – eine sehr traurige Einsicht. Weil alle anderen es tun, wird man mehr oder weniger selbst zu illegalen Verhaltensweisen gezwungen, da man sonst als naiver Idealist bloß als Benachteiligter endet. Wir redeten darüber, wie man eigentlich sozialen, gesellschaftlichen Wandel einleiten kann. Dazu müsste man wohl – zum Beispiel in Hinblick auf das Bekämpfen von Korruption, aber auch bezüglich der Schaffung von etwas mehr Toleranz für Privatsphäre und Lebensweise der Mitmenschen – die Einstellung und das Moralempfinden von Leuten beeinflussen. Geht das? Wie? Und wer hat denn das Recht, zu entscheiden, „die Gesellschaft muss sich ändern“? Ist eine Gesellschaft nicht wie sie eben ist und wird sich ändern, sobald die Zeit und ihre Angehörigen reif dazu sind? Ist Bildung der richtige Lösungsansatz? Kann man Menschen so ausbilden, dass sie sich aufgeklärte und tendenziell liberal-progressive Gedanken machen? Oder sollte man Anreiz durch bestimmte Gesetze geben? Sind beispielsweise Strafgesetze nicht ein Spiegelbild dessen, was als moralisch verwerflich, unerwünscht und darum als Vergehen angesehen wird? In Anbetracht der bestehenden Antikorruptionsgesetzgebung scheint dies jedenfalls nicht die effektivste Herangehensweise zu sein. Unsere Schlussfolgerung war, dass wir am besten Pamphlete und Denkschriften verschiedenster politischer Richtungen lesen sollten, um zu lernen, wie deren Ansicht nach die Meinung des Volkes geformt werden kann.

Außerdem redeten wir darüber, auf welche Weise die Inder mit der Schlechtigkeit des Systems umgehen. Zunächst führten wir uns dazu das Beispiel unserer Strafrechtsprofessorin Monica Chowdhary vor Augen. Ich mag sie, sie ist die einzige wirklich motivierte und energetische Professorin, die ich in meinen zwei Semestern an der Delhi University kennengelernt habe. Ich glaube, sie mag mich auch, lächelt mir auf dem Campus immer nett zu.. wohingegen sie für die meisten anderen Schüler eine Art Ekel zu empfinden scheint und sie mit beißendem Sarkasmus behandelt. Sie macht fast den Eindruck, als sei sie von der gesamten Welt enttäuscht. Obwohl sie schon Anfang 30 ist, lebt sie – für indische Verhältnisse vollkommen ungewöhnlich – allein und hat außerdem kurze Haare. Sie macht als einzige Professorin guten Unterricht, ist pünktlich und immer vorbereitet, hat Ahnung und diskutiert in ihrer Vorlesung auch mit den Studenten. Allerdings ist sie irgendwie echt krass verbittert und ihr beißender Sarkasmus ist geradezu kontraproduktiv. Beispielsweise sagt sie oft, dass sie ja nicht mal mehr Hoffnung hat, dass die Studenten die für ihre Vorlesung relevanten Fälle lesen und sich vorbereiten, deswegen kündige sie gar nicht mehr an, welche Themen Gegenstand der nächsten Vorlesung sind. Von Anishs Mutter, die ebenfalls Professorin ist, habe ich erfahren, dass „Monica M’am“ (so spricht man Profs hier an.. „Monica M’am“ und „Gautam Sir“) sogar selbst an der Faculty of Law der Delhi University studiert hat – wieso ist sie überhaupt in diese Baracke zurückgekehrt, wo ihr die Zustände doch bekannt waren?! Meine Vermutung ist, dass sie auf höchst idealistische Weise entschlossen war, durch motivierten Unterricht einen Wandel herbeizuführen.. und an diesem Vorhaben musste sie zwangsläufig scheitern wie Don Quijote an den Windmühlen. Anishs Mutter erzählte uns auch, dass vor zwanzig Jahren mal ein Cricket-Match zwischen Indien und Pakistan stattgefunden habe und an jenem Tag allen Ernstes nur zwei Leute zur Uni gekommen seien.. sie selbst und eine einzige Schülerin..die junge Monica Chowdhary! Es scheint, als habe sie schon immer außerhalb des Systems gestanden.

Leute, die denken, sie könnten das System reformieren, indem sie es einfach besser machen als andere, motiviert und diszipliniert ihre Arbeit tun und ihre Mitmenschen dadurch anzustecken versuchen, werden offensichtlich nicht ernst genommen und höchstens ausgenutzt. Sie vergeuden ihre Energie und müssen erkennen, dass ihre positive Arbeitshaltung keinerlei Auswirkung hat, sondern dass sie nur gegen Mauern rennen.. so bleibt am Ende nur ein verbitterter, frustrierter Mensch übrig, und das schon im Alter von 30 Jahren. Es ist das Schicksal der Personen, die den Kampf aufnehmen, obwohl sie dafür zu schwach sind. Andere dieser schwachen Exemplare schlafen einfach lethargisch, schließen die Augen vor den Missständen und versuchen, sich mit einem suboptimalen, eingeschränkten, wenig produktiven und dadurch zu einem gewissen Grade fremdbestimmten Leben abzufinden. Obwohl sicherlich der Großteil der Inder gewisse Missstände und Übel gerne behoben hätte, können und wollen sich nur die allerwenigsten unter ihnen eine Machtposition erringen, von welcher aus sie größere Menschengruppen beeinflussen und einen Wandel herbeiführen können. Der Kampf des Einzelnen gegen die Verdorbenheit des politischen Systems und für einen Einstellungswandel ist zwecklos, er kann nicht gegen die nichtsahnenden, hoffnungslosen Massen ankämpfen, sondern muss diese von seinem Ziel überzeugen.

[eine der wenigen einer Art kritischen Subkultur angehörenden Bands Delhis: The Ska Vengers. wir erlebten sie live, als sie im Rahmen einer Initiative zur Befreiung Binayak Sens, eines wegen vermuteter Nähe zur kommunistischen Partei Chattisghars in Haft befindlichen Arztes, spielten..]

Das krasseste Beispiel überhaupt für widerliche, unmenschliche, rein machtorientierte Methoden ist ein Vorfall, der sich vor einigen Wochen an Sanyats ehemaliger Uni, dem Indian Institute for Information Technology Allahabad, ereignet hat. Der College-Busfahrer hat beim Rückwärtsausparken einen 17jährigen Studenten überrollt, der noch an Ort und Stelle starb. Wie von Seiten der Verwaltung mit solch einem tragischen Unfall umgegangen wird, ist einfach unvorstellbar! Der Direktor griff sich einen der Studenten, der den Vorfall beobachtet hatte, und schleifte ihn zur Polizei, um einen First Information Report (FIR) aufzunehmen. Dem Studenten wurde jedoch keineswegs zugestanden, seine eigene Version des Unfalls zu schildern, sondern musste auf Anweisung des Direktors zu Protokoll geben, der Junge sei ohnmächtig geworden, weswegen er auf der Fahrbahn gelegen habe und der Busfahrer ihn gar nicht habe sehen können. Es ist mir vollkommen schleierhaft, was das für einen Unterschied machen soll, es ist und bleibt ein vom Busfahrer mehr oder weniger fahrlässig verursachter Unfall! Wie kann das dem Ruf der Uni überhaupt großartig schaden?! Und.. wie unmenschlich, abgestumpft, egozentrisch selbstsüchtig, kaltblütig kann man denn sein, dass einem als Direktor zuallererst der Gedanke kommt, dass der gesamte Vorfall vertuscht werden muss!? Die ganze Geschichte entwickelte sich zu einem Riesendrama.. Sanyat wurde von einigen Studenten informiert, die seinen rechtlichen Rat (haha, er ist im zweiten Semester!?) haben wollten. Eine größere Gruppe hatte sich nämlich dazu entschlossen, das Verwaltungsgebäude zu belagern – sehr zu Sanyats Staunen und Freude, da er nach eigenen Angaben während seiner vier Jahre dort vergebens versucht hatte, Leute gegen Missstände wie ungenießbares Essen und veraltete Lehrmethoden zu mobilisieren. Die Kommilitonen hatten damals ihre Unterstützung verweigert, weil sie Angst vor Konsequenzen (wie unbegründet schlechten Noten) gehabt hatten.. scheinbar hatte dieser Todesfall nun bewirkt, dass sie ihre Furcht überwanden. Die Studenten registrierten einen zweiten FIR bei der Polizei, welcher ihrer Wahrnehmung des Vorfalls entsprach, und versuchen außerdem, die Medien zu erreichen, damit neben dem vom Direktor abgegebenen Statement auch eine andere Version an die Öffentlichkeit gelangte. Der Direktor des Instituts versuchte in der Zwischenzeit, die Familie des Toten durch eine freiwillig gezahlte Abfindung zum Schweigen zu bringen..

Die Konfrontation mit solchen Verhaltensweisen und die Realisierung, wie schwierig es ist, in einem in manchen Bereichen komplett verkommenen System selbst mit den besten Intensionen „sauber“ zu bleiben und es trotzdem dabei zu etwas zu bringen, trifft mich immer wieder ziemlich hart. Ich komme mir vor, als wäre ich mit vollkommen eindimensionalen Sichtweisen aufgewachsen, habe ich doch von derlei Missständen und schon gar nicht von den möglichen Ausmaßen und Abgründen der Unmenschlichkeit die meiste Zeit meines Lebens keinerlei Ahnung gehabt. Eine bittere Einsicht, dass das, was man selbst als selbstverständlich und als universell und unverrückbar richtige Lebensweise kennengelernt hat, für den Großteil der Welt leider nicht stimmt. Ich komme mir manchmal vor, als hätte ich 20 Jahre geschlafen. Und zugleich ist da irgendwie ein Trotz vorhanden, dass das doch alles nicht wahr sein kann, dass das doch übertrieben ist. Wer soll denn so bösartig und verkommen sein?

Dienstag, 3. Mai 2011

Holi & Bhaang

Am 20. März (oh ja, ich bin schrecklich in Verzug) war Holi, das Farbenfest, einer der (gefühlten einhundert) wichtigsten Feiertage im Lande, welcher jährlich auf den ersten Vollmondtag des Monats März fällt. Gefeiert wird das Ende des Winters und die Ankunft des Frühlings, auch wenn ich die Frühjahrszeit in Indien als relativ wenig ausgeprägt empfunden habe – hier in Delhi fühlte sich das Wetter nur während zwei kurzer Wochen so unbeschwert und leicht an, wie man es von einem Frühling erwartet. Blumen sprießten auf den Rasenflächen der Uni und das Gefühl der angenehm wärmenden Sonnenstrahlen beglückte die an graue Himmel gewöhnte Seele. Kurz darauf wurde es dann schon richtig heiß und mittlerweile ist die Hitze mit solcher Gewalt in Delhi eingekehrt, dass man sich zwischen 10 Uhr und 17 Uhr kaum außerhalb eines Raumes oder der Reichweite eines Deckenventilators aufhalten kann.

Holi jedenfalls ist wahrhaft farbenfroh. Der Brauch ist es, dass man sich von früh bis spät gegenseitig mit Farben bewirft. Opfer kann dabei jeder sein, ob Familienmitglied, Nachbar oder vollkommen unbeteiligter Passant. Das Fest erstreckt sich über eine Dauer von etwa 10 Tagen, wobei eigentlich nur an einem Tag die Farben zum Einsatz kommen. Allerdings kann es auch in den Vorwehen Holis passieren, dass man von wildfremden Menschen (Männern) ein paar Farbklekse ins Gesicht geschmiert bekommt. Wenigstens ist das ein lustiger Brauch.. im Gegensatz zu der sich in den letzten Jahren verbreitenden Gewohnheit, dass 25jährige Typen, die nichts besseres zu tun haben, mit ihren Motorrädern an einem vorbeirasen und einem aus voller Fahrt Wasserbomben ins Gesicht / in den Bauch / zwischen die Schultern knallen. Amélie hatte eine halbe Stunde an Atemnot zu leiden, nachdem eine Bombe sie in den Solar Plexus getroffen hatte und mir zerschellte ein Ballon im Gesicht, während ich gerade in meiner Riksha-Sänfte zur Uni reiste und mir einer dieser Raubritter-artigen Großstadtgangster mit Affenzahn entgegenkam. Das mag lustiger klingen als es tatsächlich war und teilweise waren wir so angenervt von kleinen, dicken Lümmeln, die von ihren Balkonen mit Wasserbomben warfen während die Mütter gleichgültig danebenstanden, dass einem schon mal der eine oder andere beleidigende Fluch herausrutschte.. „Teri Ma ki..!!“ („Deiner Mutter..!“ – besonders lustig, wenn selbige danebensteht).

[Sanyat und ich auf dem heimischen Balkon.. nach einer ersten Runde Holi mit harmlosem Gulaal-Pulver]

Am Holi-Tag selbst wollten Sanyat, Isha und ich eigentlich zwei kanadische Austauschstudenten treffen, um mit ihnen auf das „Holi Cow Festival“ in South Delhi zu gehen. Jedoch trauten wir uns zunächst nicht aus dem Haus, da es als unsicher angesehen wird, sich während des Vormittags überhaupt auf die Straße zu begeben. Es ist allgemein bekannt, dass sich während dieser Zeit viele betrunkene und sonstig zugedröhnte, recht aggressive Menschen auf der Jagd nach Opfern herumtreiben, an denen sie sich austoben und dank der quasi-anarchischen Holi-Verhältnisse unter dem Deckmantel der Normalität ihre absurdesten Fantasien auslassen können. Als Rohit jedoch gegen 10.30 Uhr vorbeikam, um Amélie zu besuchen und sie relativ überraschend in verschiedenen Farbtönen einfärbte, nahmen wir die Gelegenheit wahr, allesamt in Rohits Auto nach East Delhi zu fahren. Dort besuchten wir den an Gelbfieber leidenden Bharat und spielten alle gemeinsam mit den relativ harmlosen, trockenen, abwaschbaren Gulal-Farben, einer Art farbigem Sand. Bevor solche künstlichen Farben auf dem Markt waren, wurde das Holi-Pulver übrigens aus getrockneten Blütenblättern hergestellt..

[Amélie, Rohit, Bharat, Isha, ich und Camille, eine Freundin von Amélie, die eigentlich in Japan studiert, aufgrund des Erdbebens aber das Land verlassen musste und für einige Wochen bei uns lebte]

Anschließend fuhren wir weiter zu Sahel, einem anderen Freund Rohits, welcher auf der Straße vor seinem Haus mit seiner Familie Holi spielte.. und dem Anschein nach hatten sie bereits einige Stunden erbitterter Kämpfe hinter sich, denn alle Anwesenden waren dunkelblau vom Haaransatz bis zu den Zehen und dazu noch klatschnass. Wir waren gerade noch dabei, einige Gläschen Badam Milk (Milch mit Mandelstücken und Safran.. sowie einigen ganz „speziellen“ Zutaten) zu uns zu nehmen, als auch wir jeweils mit einem Eimer gefärbten Wasser übergossen wurden – permanent colour! Danach war dann alles egal und wir tanzten außer Rand und Band mit vollkommen fremden Erwachsenen in der Sonne. Dreckig zu sein ist doch immer wieder eine befreiende Erfahrung, macht einen sehr locker im Umgang mit anderen Menschen :)

[Auswirkung der Permanentfarben..]

Eine Stunde später fuhren wir zurück zu Bharats Anwesen, wo wir später zu Mittag essen wollten. Wir saßen eine Weile auf der schattigen Terrasse und unterhielten uns – als es so langsam anfing. Ich bemerkte, wie ich irgendwie müde wurde und meine Augen nicht mehr richtig zu bedienen wusste, sie schienen sich langsamer zu bewegen als gewöhnlich und als Konsequenz meinte ich, einige nähere und sich bewegende Gegenstände mehrfach zu sehen. Dann wurde meine Zunge irgendwie sandig und ich fühlte, wie mir das Schlucken schwerzufallen schien. Ich fragte Sanyat, ob er auch so schläfrig sei und der schaute mich nur leicht amüsiert und ein bisschen überrascht an. Ein paar Minuten später war ich dann relativ überzeugt, dass irgendetwas nicht stimmte und beobachtete die anderen leicht verunsichert – niemandem sonst schien es so zu ergehen wie mir. Plötzlich fing ich an, über etwas zu lachen.. weswegen Sanyat und Isha mich je an einem Arm nahmen und nach draußen, vor das Haus führten. Ich sagte: „Jaja.. ich muss lachen.. ich weiß, was das ist.. das ist dieses Bhaang-Zeug..“ An Holi ist es nämlich legal, Bhaang, die getrockneten Blätter der Hanfpflanze, zu konsumieren, da dies einen traditionellen Teil des Festivals ausmacht. Der Konsum dieser Droge ist im Hinduismus, vor allem unter den Pandits und Sadhus (Priestern und heiligen Männern), für meditative Praktiken sehr verbreitet und für diese auch legal. Mir wurde schon oft davon erzählt, dass Leute nach dem Konsum von Bhaang in einen stundenlangen Wahnzustand verfallen, in dem sie abwechselnd lachen und weinen und völlig von Sinnen sind. Sanyat versuchte, mich zu beruhigen, indem er sagte, das sei alles Einbildung. Nur weil man mir gesagt habe, ich werde lachen und weinen, verhalte ich mich nun so. In dem Moment fühlte ich mich irgendwie vorgeführt und als würde ich mich durch mein Verhalten blamieren..mir wurde ganz weinerlich zumute und schon fing ich auch an zu weinen. Der Anfall war innerhalb weniger Minuten vorüber, ich lachte ein wenig darüber und meinte, es sei eine recht nette Erfahrung gewesen und wir begaben uns wieder auf die Terrasse. Meine Annahme, das sei bereits alles gewesen, erwies sich als falsch. Nach etwa zehn Minuten fing ich zum zweiten Mal an, sinnlos zu lachen. Wieder führten mich Sanyat und Isha nach draußen und schauten ein wenig belustigt. Sanyat sagte, ich müsse mich beherrschen, das sei ja alles nur Einbildung und wenn ich mich zusammenreiße, so geschehe nichts weiter. Ich meinte, in seinem Blick leichte Beängstigung zu erkennen, was mich so sehr verunsicherte, dass ich natürlich anfing, zu weinen. Doch auch dieser Anfall ging vorüber und kurz darauf begab sich die gesamte Gruppe auf einen nahegelegenen Festplatz, wo ein Buffet aufgebaut war. Wir standen eine Weile in der gleißenden Sonne, ich fühlte mich ein wenig schwummrig und als sei ich mental leicht weggetreten. Als wir uns schließlich am Buffet einreihten, hatte ich Schwierigkeiten, weder meine Orientierung noch die anderen aus dem Blick zu verlieren. Plötzlich schien mir die Sonne wie ein unerbittlicher Gegner, der mich zu zerdrückten suchte und meinen Blick auf den Boden zwang – in der Tat, vereinzelte Parallelen zu Camus‘ „L’Étranger“ schienen aufzutreten. Ich fühlte mich zwischen den drängelnden, mit zu lauter Stimme redenden Menschen wie ein Außenseiter, da mir mit einem Mal schmerzlich bewusst wurde, dass alle anderen Anwesenden in frisch gebügelter Festtagskleidung speisten, während wir wie verlotterte, pinke Schlümpfe mit filzigen Haaren unterwegs waren. Ich meinte, mich zusammenreißen zu müssen und versuchte, mir mit meinem Teller unauffällig einen Weg in den Schatten zu bahnen. Dort angekommen konzentrierte ich mich darauf, mit meinem Löffel meinen Mund zu treffen, alles erschien irgendwie zu intensiv.. zu laut, zu heiß, zu grell, zu blendend, zu kompliziert. Was weiter geschah, weiß ich nur bruchstückhaft – zumindest bin ich mir nicht sicher, ob meine Erinnerungen zusammenhängend und inwiefern sie korrekt oder realistisch sind. Ich wusste mit einem Mal, dass ich sterben würde – deswegen hatte Sanyat mit besorgt gesagt, ich solle mich zusammenreißen. Es war in meiner Macht, die Wirkung der Droge zu unterdrücken! Doch sollte mir das nicht gelingen, würde ich in eine Art Schockzustand geraten, der immer mehr eskalieren und schließlich zu einer Art komatösem Gehirntot führen würde. Am wichtigsten war es deswegen, die rein physischen Zeichen der Panik zu unterdrücken – doch kaum hatte ich dies verstanden, wusste ich, dass ich nun endgültig verloren war, da jemand, der weiß, dass er panisch werden wird, der Panik nicht entkommen kann. In diesem Moment sah ich mein Leben – recht klischeehaft – zeitraffermäßig vor meinem inneren Auge. Ich sah meine Grundschullehrerin, deren Mühen nun enttäuscht würden. Ich sah mich in einem Vegetativzustand im Krankenhaus liegen, ich fühlte geradezu, wie mein Gehirn sich verkrampfte. Ich sah (allen Ernstes, es ist mir geradezu peinlich wie klischeehaft ich bin) einen Zeitungsartikel mit der Überschrift „Touristin stirbt an Überdosis Bhaang“ vor mir!! Ich konnte nicht schlucken, rechts und links zu meinem Herz breitete sich eine Art brennender Schmerz aus. Die Panik kam wie eine massive Welle und zerdrückte mich, legte jegliche Denkfunktion lahm. Ich entwickelte mich rückwärts. Ich packte Sanyat und sagte ihm, dass ich ihn liebe.. ich wusste, dass ich die Fähigkeit zu sprechen verlieren würde. Ich sagte „Mama“, dann begann ich, auf meinen Fingern herumzubeißen. Meine nächste Erinnerung ist, wie ich wieder einigermaßen normal dastehe. Ich bilde mir ein (vielleicht war es auch tatsächlich so), dass der gesamte Festplatz zu mir starrte. Ich wusste, dass ich bisher überlebt hatte und dass es an mir war, weitere Anfälle zu unterdrücken. Leichte Hoffnung keimte in mir auf, dass der Verlauf dieser Sache nicht unbedingt tödlich sein muss. Krampfhaft versuchte ich, einen vollkommen normalen Eindruck zu machen und war mir dabei überhaupt nicht bewusst, wie ich auf die Umstehenden wirken würde. Ich sagte zu Sanyat, dass er mich in eine ruhigere Gegend bringen solle – ich wisse nun alles und werde versuchen, den fatalen Ausgang zu vermeiden, dies werde aber nur gelingen, wenn ich in einer weniger verunsichernden Umgebung sei. Sanyat führte mich in die Richtung von Bharats Haus. Vor einem der benachbarten Anwesen stand ein Mann, umringt von einer Schar von Menschen, und schrie seine Frau an. Ich war mir plötzlich sicher, gelesen zu haben, dass Bhaang viele Leute sehr aggressiv macht und an Holi deswegen jährlich Tausende von Menschen sterben. Das Problem mit der Droge war, dass sie ihre Wirkung verstärkte, indem sich die halluzinierenden Menschen gegenseitig aggressiv machen oder verängstigen. Es war deswegen wichtig, dass ich vor allem von derlei Personen Abstand nahm (all dies meine feste Überzeugung, immer wieder sagte ich zu Sanyat, ich wisse nun alles). Der Mann machte mir solche Angst, plötzlich war ich sicher, dass er eine Pistole hatte – wieso tat niemand was, warum aßen die Menschen auf dem Festplatz seelenruhig zu Mittag. Wir liefen in eine schmale Gasse, wo ich beschloss, auf und ab zu gehen. Auch Sonne musste vermieden werden, da zu viel aggressiven Lichts die Wirkung der Droge verstärken würde. Stundenlang (so schien es mir) liefen wir in den Gassen auf und ab. Eigentlich wollte ich in Bharats Haus, um mich im Schatten zu verstecken, doch wir konnten uns diesem nicht nähern, da in unmittelbarer Nachbarschaft der wütend brüllende Mann zeterte, vor dem ich mich sehr fürchtete. Allgemein hatte ich Angst vor jedem Menschen, der an mir vorüberging und wenn ich Schritte hinter mir hörte, so schienen diese stets immer lauter zu werden und sich mir zu nähern.. Nach einer Weile konnte ich verschiedene Stadien meines Zustandes erkennen. Manchmal schien die Panik wieder in regelrechten Anfällen über mich zu kommen – einmal meinte ich, meine Lippen wüchsen zusammen und ich könnte nicht mehr reden – , dann wieder hatte ich etwas klarere Momente. Irgendwann begann ich, in den klareren Momenten mit Sanyat über die „Anfälle“ zu reden und von da an wusste ich, dass die ganze Sache überstanden war, dass ich die Panik besiegt hatte. Ich glaubte aber nach wie vor, dass diese ganze Panik-Sache tatsächlich stimmte.. dass Leute wirklich vor Angst sterben an Holi. Und ich glaubte das auch für einige Tage.. und irgendwie glaube ich es immer noch ein bisschen. Insgesamt hielt dieser starke Rausch für etwa zwei Stunden an und mein Gefühl, etliche Gedächtnislücken zu haben, kann damit nicht stimmen, es wirkt nur alles so unwahrscheinlich. Sobald es mir etwas besser ging, gingen wir zu den anderen zurück – Amélie hatte in der Zwischenzeit einen sehr ähnlichen Anfall erlitten, etwas weniger intensiv als ich, und fürchtete sich vor mir. Wir entschlossen uns, nach Hause zu gehen, um dem Spuk durch einen beruhigenden Mittagsschlaf ein Ende zu bereiten. Auf der Fahrt erlitten sowohl Amélie als auch ich einige weitere Zustände.. wir hatten beide Angst, Rohit werde einen Unfall machen. Ich beobachtete Rohits Augen im Rückspiegel und meinte, er schlafe oder mache wirre Grimassen. Als wir schon fast daheim waren, hatte ich einen stärkeren Anfall – ich sah brennende Häuser und zerbeulte Autos, ja sogar einen toten Mann als Resultate vermeintlicher Holi- und Bhaang-Streitereien und Unfälle. Daheim angekommen durfte ich trotz meiner Müdigkeit nicht sofort schlafen, da die widerliche permanente Wasserfarbe so bald wie möglich abgewaschen werden muss. Ich duschte mit einer Mischung aus Milch und Mehl, welche auf die Haut aufgetragen und nach dem Trocknen abgerieben wird. Dieses Ganzkörperpeeling war relativ schmerzhaft und ich hatte für einige Tage kleine Teigklumpen in meinen Haaren. Nachdem die Prozedur nach einer Stunde durchstanden war, fiel ich wie tot ins Bett und schlief für sechs Stunden. Gegen 23 Uhr erwachten sowohl Sanyat als auch ich. Sanyat meinte, er habe ein bisschen Angst im Dunkeln. Ich meinte, ich sei hungrig und so verschlangen wir irgendwie unglaubliche Mengen an Essen (scheinbar übliche Nebenwirkung von größerem Hanf-Konsum). Während wir in der Küche standen, beobachteten wir, wie uns die Dunkelheit des Wohnzimmers oder entfernte Raschelgeräusche ein bisschen Unbehagen zufügten. Da die Wirkung der Droge jedoch mittlerweile nachgelassen hatte, war es fast ein bisschen belustigend, die Effekte zu beobachten. Am nächsten Morgen, nach weiteren 12 Stunden Schlaf, las ich im Internet über das weltweit bekannte Bhaang, das in Varanasi ganzjährig in Form von „special lassi“ erhältlich ist. Ich erfuhr dabei, dass der Konsum größerer Mengen Hanfs ganz gewöhnlich zu Angstzuständen führt, in Extremfällen zu Todesangst und dass Menschen dabei auf allerlei Ideen kommen – sie meinen, sie hätten einen tödlichen Gehirntumor oder dergleichen. Ich muss sagen, dass mir meine Panik da ganz gut gefällt. Sie wurde vermutlich geschürt durch Sanyats anfängliche Versuche, mir einzureden, ich könne und müsse die Panik unterdrücken – und durch meine Lektüre des Buches „1984“ von George Orwell, welche ich wenige Tage zuvor abgeschlossen hatte. Diese ganze Gedankenunterdrückerei erinnert mich ein bisschen an das dort eine Rolle spielende Doublethink-Konzept.

Samstag, 16. April 2011

Bangalore

Die nächsten drei Tage standen dann hauptsächlich im Zeichen nässender, teils pulsierender Wunden und der daraus resultierenden eingeschränkten Bewegungslust. Zunächst galt es, eine Reisegelegenheit nach Bangalore zu organisieren, wo wir unseren Flug zurück nach Nordindien erwischen sollten. Weil wir zu viel Geld für Taxifahrten und Röntgenaufnahmen verprasst hatten und mein Konto aufgrund Monatsendes sehr leer war, saßen wir für einen Tag in Munnar fest, bis finanzielle Unterstützung aus Deutschland eintraf (Sanyat konnte seine Eltern nicht nach Geld fragen, weil sie weder von dem Unfall erfahren sollten, noch davon, dass ich mit ihm unterwegs war). Weil wir uns mit unseren Leiden eine Fahrt im gemeinen Überlandbus nicht zutrauten, kutschierten wir im luxuriösen Großraumwagen in 13 Stunden nach Bangalore.

[Auf der Fahrt, kurz hinter der Grenze nach Tamil Nadu, wurde endlich ein lange gehegter Traum wahr: Wir aßen von Bananenblättern.. und dazu noch mit bandagierten Händen, welche möglichst wenig mit Daal, Chaawal, Sambar und Sabzi in Berühung kommten sollten..]

Nachdem wir nachts in Bangalore angekommen waren, begaben wir uns am nächsten Morgen erstmal zum Arzt, um nach unseren Wunden sehen zu lassen. Wie ich die ganze Zeit vermutet hatte, ist es eigentlich weniger schlau, offene Wunden mit Verband zu bedecken, da die Bandage ja mit dem feuchten Gewebe verwächst.. als der gute Onkel Doktor uns dies nun erklärte, dämmerte mir Ungutes. Unbarmherzig wurden kurz darauf sämtliche Verbände abgerissen, sodass unser rosiges Fleisch wieder zutage trat.. alle Wunden pochten furchtbar! Am Boden zerstört humpelten wir aus dem Krankenhaus. Die Aussicht, einen Tag im trüben Hotelzimmer zu verbringen, schien unerträglich. So entschieden wir uns, den Stadtpalast anzuschauen. Vermutlich lagerten sich etliche Gramm Straßenstaub auf unseren Verletzungen ab, während wir mit der Riksha durch die heißen Straßen tuckerten..

Der Palast war vermutlich auch nicht gerade der beste Ort, um unsere Laune zu bessern. Mit verkniffenen Gesichtern schlurften wir durch dunkle Galerien und opulent dekorierte Hallen, welche mit Elefantenbeinhockern und ähnlichen Geschmacklosigkeiten dekoriert war. Anhand ganze Wände bedeckender Ahnentafeln und mittels eines Audioguides konnte man erfahren, dass die adelige Familie schon früh erkannte, wofür es zu leben lohnt. Neben Elefanten- und Tigerjagden wurde vor allem dem Rauchen von Zigaretten, der Musik und der Wollust gefrönt – letztere wurde klassisch und ganz stilvoll durch allerhand Aktportraits, welche in jedem einzelnen Raum die Wände schmückten, verbildlicht. Einige der Werke sahen nach original Playboy-Postern aus. Je weiter wir in der chronologisch dem geschichtlichen Zeitstrahl folgenden Ausstellung vordrangen, desto kontemporärer wurden die Fotos der Fürsten. Der aktuelle Kronprinz ist ein übergewichtiger 50jähriger, der sich mit Rauschebart und Ray-Ban-Sonnenbrille vor seinem glänzenden BMW ablichten lassen hat.

Am Abend trafen wir eine Hand voll ehemaliger Kommilitonen Sanyats, die allesamt in der IT-Branche Bangalores beschäftigt und neureich sind. Am folgenden Morgen flogen wir nach Jaipur, von wo aus Sanyat sich ins heimatliche Jodhpur begab und ich ins weniger heimatliche Delhi weiterreiste.

Munnar Top Station ..und unser Unfall

Am nächsten Morgen also standen wir wahrlich schon um 6 Uhr auf und bestiegen unser vor dem Guest House bereitstehendes Motorrad, dessen Sattel noch feucht war vom kühlen Morgentau. Dank unserer 4-Schichten-Allzweckkleidung, welche quasi sämtliche Tshirts umfasste, die wir für die subtropischen Klimaverhältnisse Keralas mit uns führten, erschien der Fahrtwind zunächst gar nicht überragend kalt und als wir Munnar gen Norden verließen,befanden wir uns wahrlich in bester Laune! Einen steilen Hang erklommen wir und fanden uns, als wir das noch recht düstere Tal, in welchem Munnar gelegen ist, verließen, plötzlich von den ersten goldenen Sonnenstrahlen beschienen. Durch lichte Haine und vorbei an bunten Tempeln und weiten Teeplantagen glitten wir auf den für indische Verhältnisse überdurchschnittlich gut befahrbaren Straßen, genossen die Aussicht, die morgendliche Ruhe und die so ungewohnte Ungestörtheit. Nach einiger Zeit merkten wir, wie unsere Oberschenkelmuskulatur sowie unsere Finger und Wangen taub und steif wurden und der Fahrtwind uns merklich auskühlte – es war kälter als zunächst angenommen, doch die Sonne gewann stetig an Kraft und so setzten wir unsere Tour zuversichtlich fort. Unser Ziel war die 34 km von Munnar entfernte „Top Station“ mit dem scheinbar sehr eindrucksvollen „View Point“..

Während unserer zweistündigen Fahrt ließen wir ungezählte Serpentinen und etliche Steigungen hinter uns. Außerdem passierten wir zwei im noch fahlen Licht silbrig glänzende, vollkommen unbewegt daliegende Stauseen und einen ebenso still daliegenden, wie tot auf einer Seite schlummernden Elefanten! – die Stimmung der beeindruckenden Naturkulisse wurde von keinem einzigen hupenden Fahrzeug, keinem einzigen lärmenden Menschen gestört, es war traumhaft. Ich sagte doch tatsächlich zu Sanyat, dass ich mir schwer einen schöneren Ort als diesen vorstellen könne.

Um 9 Uhr öffnete sich die Berglandschaft in ein weites Tal, welches von scheinbar brodelndem Nebel angefüllt war, der aus der Tiefe emporzusteigen schien. In allen Richtungen konnten wir in der Ferne, jenseits des Nebels, karge Bergrücken erkennen, welche in starkem Kontrast zu der üppigen Fauna standen, welche uns in unmittelbarer Nähe nach wie vor umgab – selbst in dieser Höhe von 2200 Metern über dem Meeresspiegel waren noch einige Teeplantagen anzufinden, welche von dichten, üppigen Regenwaldbäumen abgelöst wurden, deren Kronen von orangefarbenen Blüten leuchteten. Die ganze Szenerie wirkte dramatisch, wie eine Gegenüberstellung eines friedlichen Garten Eden mit einer feindseligen Einöde.

Wir setzten unsere Fahrt für weitere fünf Minuten fort und erreichten den eigentlichen View Point nach einem 10minütigem Fußmarsch – von dort war die Aussicht noch beeindruckender, da ein tieferer Einblick in das unheimliche Tal möglich war.

Der Wiederaufstieg vom etwas unterhalb der Straße gelegenen View Point entkräftete uns aufgrund mangelnden Frühstücks und vor Kälte fast unbeweglicher Glieder dermaßen, dass wir ihn nur keuchend meisterten. So nahmen wir an einem nahegelegenen Kiosk zunächst einige Instant-Nudeln, Wassermelone und Chai zu uns – unser erster Kontakt mit menschlichen Wesen an diesem Tag! Anschließend machten wir uns an die Abfahrt. Die Sonne stand nun schon hoch am Himmel und ab und zu kamen uns erste, mit Touristen beladene Autos und gar Reisebusse entgegen. Nach einer Weile durfte auch ich mich am Steuern des Motorrads bedienen – mein erstes Mal! Der Kickstart gelang nach allen Regeln der Kunst und ich ließ die Kupplung sanfter kommen, als mir das vermutlich sonst jemals in einem Auto gelungen ist. Das Lenken des schweren, breiten Fahrzeugs war nicht ganz einfach, doch ich vermochte gar, in den zweiten Gang zu schalten und steuerte die Suzuki voller Stolz bestimmt für einen ganzen Kilometer die Serpentinen abwärts. Anschließend übernahm Matrose Sanyat wieder das Kommando. Nur wenige Minuten später ereignete sich dann einer der widerwärtigsten Vorfälle meines Lebens, quasi ebenfalls in krassem Kontrast zum erhebenden Naturerlebnis des frühen Morgens stehend! Wir fuhren gerade mit einem wahrlich moderaten Schneckentempo von etwa 20-25 km/h in eine Kurve ein, Sanyat versuchte auf meine Aufforderung hin, sich ein bisschen in die Kurve zu legen.. – da düste vor uns ein Auto um die Kurve. Obwohl (zumindest meiner Meinung nach) für ein problemloses Passieren genug Platz auf unserer Straßenseite war, riss Sanyat das Steuer einigermaßen ruckartig nach links. Weil noch dazu Sand auf der Fahrbahn lag, kam es, wie es kommen musste: das Motorrad begann zu schlittern und wir fielen bäuchlings vom Motorrad. Noch während meiner Flugphase dachte ich „Ach, das ist also ein Motorradunfall? Gar nicht mal so schlimm.. ich kann ja noch denken.“ Der Aufprall tat natürlich weh, doch zunächst fühlte es sich so an, als hätte ich nur Schürfwunden vom Typus Fahrrad-Unfall erlitten. Allerdings hatte ich auch den Vorteil, weich auf dem unter mir und dem Motorrad begrabenen Sanyat gelandet zu sein. Ich sprang sofort auf und rief wie selbstverständlich „come, get up..fast“ zu Sanyat, der sich daraufhin auch regte. Wir humpelten zusammen zwei Schritte zum Straßenrand und ich riss – wahrlich innerhalb einer halben Minute – meine Wasserflasche heraus, um Sanyats Wunden zu säubern. Zugleich fühlte ich mich aber auch, als könne ich meine Knie nicht benutzen und war daher reichlich immobil. Als Sanyat mir auf meine Aufforderung seinen Ellenbogen zeigte, wich jeglicher Tatendrang von mir – ich konnte seinen Knochen sehen, so tief war die Wunde! Der Anblick lähmte mich dermaßen, dass ich nur noch vollkommen nutzlos mit der Wasserfalsche herumstand. In mir wallte immer mehr Panik auf, vor allem als Sanyat begann, „my legs are dead, they’re gone“ zu stammeln. Der Fahrer des Autos, das uns entgegengekommen war, sowie zwei ausländische Fahrgäste, waren in der Zwischenzeit zu uns gekommen. Der Fahrer begann sogleich, jegliche Schuld von sich zu weisen („You really drove much too fast.“) und das Touristenpaar schien fast so schockiert wie wir selbst. Die Frau bot uns jedoch sofort geistesgegenwärtig Desinfektionstücher an, welche ich jedoch weder auf meine, noch Sanyats Wunden zu pressen wagte. Meine Wahrnehmung war vom Adrenalingehalt in meinem Blut vermutlich getrübt und so weiß ich nicht genau, wie viel Zeit wirklich zwischen den einzelnen Ereignissen liegt – doch es scheint mir, als erreichte fast zeitgleich auch ein vollbesetzter Überlandbus den Unfallort. Sämtliche Passagiere sprangen neugierig aus dem Bus und bildeten einen schaulustigen Kreis um uns. Sanyat murmelte zu diesem Zeitpunkt etwas davon, ihm werde schwarz vor Augen.. ich hielt ihn an den Schultern fest und er fiel stehenderweise in Ohnmacht, wobei er ohne zu wanken vollkommen gerade auf beiden Beinen stehen blieb. Ich rief mit zitternder Stimme und Tränen der Verzweiflung in den Augen, ob mir mal jemand helfen könne, ihn festzuhalten, woraufhin die Touristin etwas näherkam, die Bus-Truppe jedoch nach wie vor nur glotzte. Ich begann, Leute nach dem nächsten Krankenhaus anzuschreien und verkündete dann, man solle mir und Sanyat in den Bus helfen, wir würden die zweistündige Fahrt nach Munnar auf uns nehmen, um in das dortige Krankenhaus zu gelangen. Weiterhin machte niemand Anstalten, uns konstruktiv zu unterstützen – jedoch trat eine der zur Gruppe der Busreisenden gehörenden südindischen Nonnen an mich heran und fragte – allen Ernstes – „What happened? Did you have breakfast already?“ What!? Das kann ja wohl nicht wahr sein! Ich ignorierte sie, mein Gehirn war von der Situation sowieso so überfordert, dass ich meine Wahrnehmungen nicht filtern konnte. Glücklicherweise erwähnte in diesem Moment der Fahrer des Touristenpaares ein nahegelegenes Krankenhaus und erklärte sich bereit, uns bergaufwärts dorthin mitzunehmen. Das Angebot nahmen wir umgehend an – gemeinsam mit dem Touristen-Mann hob ich das Motorrad auf und schob es an den Straßenrand, wo wir es abschlossen; anschließend humpelten Sanyat und ich zum Auto und versuchten, uns ohne Beugen der Knie auf den Hintersitzen niederzulassen. Nach einer Fahrt von etwa fünf Minuten gelangten wir an ein winziges, in der menschenleeren Einöde gelegenes Krankenhaus – wir hatten ein unfassbares Glück, dass TATA für seine Teepflücker einige Krankenstationen unmittelbar zwischen den Plantagen eingerichtet hat. In dem kleinen, irgendwie an ein Kolonialgebäude erinnernden Bungalow trafen wir einige Riksha-Walla-artige, untätig herumsitzende Männer sowie zwei Krankenschwestern vor. Letztere beäugten uns interessiert, nahmen sich unserer aber nicht wirklich an. „Can you please do something? Desinfect our wounds..!?“ rief ich ihnen zu. Die Schwestern waren gut gelaunt, lachten und unterhielten sich auf Malayalam über uns und fragten den Touristentaxifahrer nach dem Hergang des Unfalls. Ich beschloss, die Sache in die Hand zu nehmen und Sanyats Schuhe auszuziehen, woraufhin dieser mich abzuwehren begann und rief, ich solle meine Wunden zuerst säubern lassen. Die Schwestern ahnten wohl, es werde sich ein Bollywood-Drama entwickeln und geleiteten mich daher in einen anderen Raum. Endlich schnitt die Schwester mir dann – nach wie vor mit einer mir vollkommen unverständlichen Seelenruhe im Angesicht des Todes – die Jeans vom Körper und schaute sich meine Wunden an. Ich selbst wagte weder, mein Knie zu bewegen, noch, es eines Blickes zu würdigen, da ich den Anblick weiterer Knochen fürchtete. Die Schwester beschmierte meine Wunden an Knie und Handflächen unbarmherzig mit Jodlösung und begannen währenddessen, mich auszufragen. Die Schmerzen waren ziemlich widerwärtig, doch das Schlimmste war, wenn ich mir vorstellte, dass Sanyats Arm amputiert werden müsse oder er wegen der irreparablen Schädigung seiner Knie nie wieder laufen könne. Ich begann, auf meinen Daumen herumzukauen, während die Schwester dicke Verbände um sämtliche Wunden wickelte. Sanyat aus dem Nebenzimmer rief herüber, wie es mir gehe – ich antwortete wahrheitsgemäß und leicht tränenerstickt, ich wisse es nicht. Daraufhin sagte die Schwester: „Don’t say. You must say you are good – or your husband will cry.“ Diese Bemerkung verlieh der ganzen Situation durchaus eine typisch indische Soap-Opera-Note, welche mich zum Lachen brachte und so rief ich etwas zuversichtlicher „I’m good, I’m good.. but I think they’re not taking us seriously!“ zu meinem Zimmernachbarn und Leidensgenossen herüber. Die Touristen und ihr Fahrer verschwanden in der Zwischenzeit und ließen uns damit mit einigen gutgelaunten Krankenschwestern in der Wildnis zurück. Nun stellte sich die Frage nach dem weiteren Vorgehen. Die Angestellten sicherten uns zu, ein Auto für den Transport ins Krankenhaus in Munnar zu organisieren. Wir warteten für eine halbe Stunde, in welcher wir gezwungen wurden, lauwarmes Wasser zu trinken, dann stiegen wir in den Kleinbus eines lokalen Eisverkäufers, der uns im Gegensatz zu den robusten Schwestern, denen wir zum Abschied hundert Rupien in die Hand drückten, wie rohe Eier behandelte. Die Fahrt ins Tal war recht schrecklich, da die Wunden, nun da der Schock nachließ und die Schmerztabletten noch nicht wirkten, furchtbar zu pochen begannen. Auch wurde uns das Ausmaß des Vorfalls bewusst – in unserem Zustand konnten wir keineswegs wie bisher geplant per Bus ins Flachland hinabfahren und wer wusste überhaupt, welche Verletzungen wir davongetragen hatten. Eine nagende Angst schien sich unserer zu bemächtigen, drum schien Ablenkung angebracht. Wir hörten uns also lauter fröhliche Lieder auf unserem MP3-Player an und zwangen uns tatsächlich, mitzusingen, um uns zu beruhigen.

Gegen 12 Uhr kamen wir am TATA General Hospital in Munnar an, wo wir wie Kriegsversehrte durch die Flure bis zur Notaufnahme humpelten. Dort wurden wir von einem leicht gelangweilten Arzt über den Hergang des Unfalls befragt.. besonderen Wert legte er auf „medico-legal aspects“ und wollte wissen, ob wir die Unfallverursacher seien und wer noch verletzt wurde, scheinbar war ihm die Behandlung unserer Wunden allein nicht spannend genug. Zunächst ließen wir uns gegen Tetanus impfen, anschließend wurden unsere Knie und Sanyats Handgelenk geröntgt und der Arzt warf einen Blick auf Sanyats Ellbogenknochen, befand die Verletzung aber für weniger schlimm als sie aussah und entließ uns relativ bald. Auf dem Weg nach draußen überlegte ich, ob wir nicht besser unsere Wunden alle nochmal angucken lassen sollten, da sie nicht besonders gründlich gesäubert worden waren.. Eine etwas miesepetrige Krankenschwester erklärte sich daraufhin widerwillig bereit, ein zweites „dress up“ vorzunehmen. Das Abreißen der Verbände, die bereits etwas mit den Wunden verwachsen waren, tat schrecklich weh und als sämtliche Verletzungen nun zum zweiten Mal mit Jodlösung abgerieben wurden, waren die Schmerzen wieder genauso unerträglich wie direkt nach dem Unfall. Allerdings war diese Säuberung tatsächlich nötig gewesen, da sich noch relativ viel Staub und Straßendreck in unseren Wunden befunden hatte und die Vorstellung einer Wundinfektion, am besten noch an einem offenen Knochen, war wenig verlockend.

Den Rest des Tages saßen wir in unserer Bewegungsfreiheit stark eingeschränkt in der Sonne auf dem Hotelbalkon und sinnierten über die Einmaligkeit des Lebens und darüber, wie der Motorradverleiher wohl reagieren würde.. es kam schlimmer, als befürchtet – der Fiesling ließ uns für eine „vollkommen unbrauchbare, da verbogene“ Gabel zahlen, die er seinen Angaben nach erst zwei Wochen zuvor in das Motorrad eingebaut hatte.. außerdem für das Rücklicht, das auch von allerbester Qualität gewesen war.. und selbstverständlich für die Taxikosten, die er auf sich hatte nehmen müssen, um das Motorrad vom Unfallort zurückzuholen. Die ganze Abzocke geschah unter dem Mantel der Aufrichtigkeit, wie ein ehrenhafter Geschäftsmann bot der Händler uns an, wir könnten das Gefährt jederzeit selbst in Augenschein nehmen oder uns des Expertenmeinung eines unabhängigen Mechanikers bedienen.. wo man im winzigen Munnar einen unparteiischen Gutachter soll, der mit dem Verleih-Typen weder verwandt noch verschwägert noch befreundet ist, schien uns nicht ganz so klar. So sahen wir die horrende Summe von 2000 Rupien – das sind 35 Euro und dies entspricht wiederum dem gesamten Wert eines Gebrauchtmotorrads! – als Strafe für unsere Leichtsinnigkeit an und ließen den Betrüger zähneknirschend von Dannen ziehen. Als wir uns am Abend von einer Riksha zu einem Restaurant chauffieren ließen, fragte uns der Riksha-Walla mit einem Nicken in Richtung unserer Bandagen, was uns geschehen sei. Wir erzählten, wir seien am frühen Morgen mit unserem Zweirad mit einem wilden Waldelefanten kollidiert und daraufhin von unserem Motorrad geschleudert worden.. Reaktion des Rikshafahrers: Dies könne nicht stimmen, da Waldelefanten sich gewöhnlich nur des Nachts auf den Straßen um Munnar bewegten. Gut zu wissen.