Dienstag, 31. August 2010

Mehendra :)

Die bei Sanyats Eltern angestellte maid und ihr absolut durchgedrehter Sohn Mehendra.. lässt man ihn unbeaufsichtigt, rollt er aufgrund seines Unvermögens, zu krabbeln oder zu laufen, so lange im Zimmer herum, bis seine Füße irgendeinen Gegenstand finden, gegen den er treten kann - dann liegt er strampelnd auf dem Boden und tobt sich aus. Außerdem hat er meine Knie abgeleckt.. und seine Mutter in ihrem traditionellen rajasthanischen Gewand ist einfach so hübsch..

Zusammenfassend kann man sagen, dass es eine sehr abwechslungsreiche und anstrengende Woche war.. one hell of a trip! :) und ich werde nicht lange Zeit haben, mich zu erholen.. morgen Abend bereits begebe ich mich mit Amélie und ihrem Department of Philosophy auf eine Exkursion in den Norden, nach Dharamsala, dem Sitz des Dalai Lama!! Habe das Gefühl, dass ich zur Zeit mehr Nächte mit Kakerlaken auf Zugpritschen verbringe als in meinem Bett. Maximum exposure!

Osian

[der Aufstieg im Inneren des auf einer Hügelkuppe errichteten Hindutempels.. irgendwie mystisch]

Am Samstag fuhren wir schon um 6.30 Uhr morgens in den 40 Kilometer entfernten Ort Osian. Dort gibt es einen alten Hindutempel, der Pilger aus der ganzen Gegend herbeilockt. Um kurz vor acht erreichten wir das kleine Dorf und stiegen die Treppen zu dem auf einem Hügel befindlichen Heiligtum herauf. Wieder einmal kamen wir in den Genuss eines preferential treatments.. ein Priester öffnete einen wohnzimmerartigen Raum, in dem wir eine Weile warten sollten. Anschließend wurden wir in den Tempel gewunken, wo sich schon Pilgerwarteschlangen gebildet hatten – Grund war die bevorstehende allmorgendliche (auf irgendeine Art besondere) Pooja, die um acht Uhr durchgeführt wird. An den Schlangen der Wartenden vorbei wurden wir ganz nach vorne, direkt vor das Götterbild geführt, was mir sehr unangenehm war. Als man mir offenbarte, dass ich einen Teil der Pooja ausführen sollte, lehnte ich das entschieden ab.. erstens weil ich von diesen Ritualen keine Ahnung habe, zweitens hätte ich mich total scheinheilig gefunden und drittens hatte ich den Eindruck, dass man einem der Pilger eine ziemlich große Freude bereiten könnte, indem man ihn an der Ausführung teilhaben ließ, wohingegen mir dieses Prozedere ja doch nur hohl erschien. So trat ich meine Sonderstellung an eine der wartenden Frauen ab und beschaute das Vorgehen aus der zweiten Reihe.. im Grunde handelte es sich um eine gewöhnliche, zeitlich verlängerte Pooja. Der Priester hielt verschiedene Ghee-Kerzen vor das Götterbild und bimmelte kontinuierlich mit einem kleinen Glöckchen, Sanyats Cousin Nimit musste 20 Minuten lang eine große Messingglocke läuten und die Pilger sangen Mantras im Hintergrund – eine sehr laute Angelegenheit. Das einzige special feature: Sanyat und die Pilgerfrau schwenkten je eine Art Staubwedel (eventuell aus Kamelhaar gefertigt?) vor dem Altar auf und nieder. Wie aus dieser sarkastischen und eventuell etwas respektlosen Schilderung hervorgeht, erschien mir diese Prozedur wieder einmal als eine etwas sinnentleerte Form der Verehrung. Aber.. vermutlich bedeutet sie diesen Menschen, die kilometerweit durch die pralle Sonne wandern, um verschiedene Tempel zu besuchen, doch irgendwie mehr. Ich frage mich nur, wie viel sie eigentlich über die Hintergründe und die Aussage ihrer Religion wissen.. und.. ist das überhaupt relevant?

[Parkora aur hari mirchi - Frühstück!!]

Nachdem die Zeremonie vorüber war, wurden wir auf eine als eine Art Büro oder genutzte Veranda geführt, wo wir vom Tempelmanager (falls man ihn so nennen kann), einem entfernten Bekannten von Sanyats Maamaa, zum Frühstück eingeladen wurden: Pakoras (frittierte Linsenmehlbällchen) und grüne Chilis. Lecker! Wobei mein Magen auf altbekannte Weise etwas empfindlich reagierte :) Danach geleitete uns einer der Priester, dessen Familienmitglieder seit über vier Generationen in diesem Metier tätig und für die Tempel in Osian zuständig sind, zu einem zweiten großen Gotteshaus in Osian, einem Jain-Tempel. Auf umständliche und sehr langwierige Weise erzählte er uns sodann die Entstehungsgeschichte der beiden Tempel:

Es waren einmal zwei Rajputenprinzen. Als der ältere der beiden seinem Vater auf den Thron folgte, verbannte er seinen Bruder aus seinem Königreich. Der jüngere Brüder gründete daraufhin in einiger Entfernung sein eigenes Reich, dessen Hauptstadt Osian war.. so gegen 800 n. Chr., glaube ich. Einige Zeit später heiratete dieser jüngere Rajput-König eine Prinzessin aus einem benachbarten Königsgeschlecht, welche daraufhin nach Osian kam. Weil es in Osian jedoch keinen einzigen Tempel gab, konnte die sehr religiöse Frau ihren Glauben nicht angemessen leben und trat deswegen in den Hungerstreik – sie kündigte an, so lange nichts zu essen, bis ein Tempel für die Kuldevi (Ahnengöttin) ihrer Familie gebaut werde. Zwar erklärte sich ihr Ehemann bereit, ihrem Wunsch nachzukommen – es herrschte jedoch Unsicherheit darüber, wo der Tempel errichtet werden solle. Nach einer Woche erschien der Prinzessin die Göttin im Schlaf und kündigte einen Ort und einen Zeitpunkt an, an welchem sie sich zeigen werde. Die Prinzessin informierte das gesamte Dorf (das damals anscheinend eine Einwohnerzahl von 380.000 Menschen gehabt haben soll) und zur besagten Zeit fanden sich alle Untertanen auf einem nahegelegenen Hügel, welchen die Göttin als Erscheinungsort gewählt hatte, ein. Jedoch war das Land von Kühen und Ziegen bevölkert, welche das Erscheinen für die Göttin erschweren würden – weswegen die Prinzessin die Hirten anwies, die Tiere auf möglichst geräuschlose Weise zu verscheuchen. Dies gelang und mit einem gewaltigen Erdbeben begann sich daraufhin eine Erdspalte auf der Hügelkuppe zu öffnen, aus welcher sich langsam eine weiße Göttergestalt erhob. Von dem plötzlichen Beben war jedoch das in der Nähe grasende Vieh so in Panik versetzt, dass es begann, sich in alle Richtungen zu zerstreuen. Die Hirten versuchten ihre Herde beisammen zu halten, indem sie den Tieren laut rufend hinterherrannten. Der dadurch erzeugte Lärm verärgerte wiederum die Göttin, welche ihr Erscheinen abbrach – die Götterstatue war nur halb aus dem Erdreich hervorgekommen, mit einem Bein war sie im Boden steckengeblieben. Für die Menschen von Osian stellte das jedoch kein Hindernis dar: Sie errichteten einen Schrein und bauten einen stufenförmig am Hang des Hügels aufsteigenden Tempel rund um das Götterbild und verehrten von diesem Tag an die Kuldevi ihrer neuen Herrscherin.

Einige Jahrhunderte später kam ein Weiser der dem Jainismus zugerechneten Osho-Sekte in das Dorf. Er muss dort good vibrations gespürt haben, denn kurzerhand fasste er den Plan, die Einwohner des Ortes zu seinem Glauben zu missionieren. Er band eine giftige Schlange um einen Ball und sandte diesen in die Gemächer des jungen Prinzen von Osian. Wie er es geplant hatte, wurde der Prinz gebissen und erlag bald der Wirkung des Gifts. Der Thronfolger wurde für tot erklärt und Vorbereitungen für seine Bestattung getroffen – zu diesem Zeitpunkt trat der Jain zum Rajput-König und bot an, seinen Sohn zu heilen. Gelinge ihm dies, so sollten alle Menschen Osians dem Jainismus beitreten. Der König willigte ein und der Weise heilte den Prinzen durch den Biss einer weiteren Schlange. Daraufhin trat der König mitsamt seiner Untertanen dem Jainismus bei. Bald jedoch stand man vor einem ähnlichen Problem wie wenige Jahrhunderte zuvor: Eine Religionsgemeinschaft benötigt einen Tempel. So begannen die Menschen mit dem Bau einer Gebetsstätte. Doch was immer des Tags errichtet wurde, fiel in der Nacht in sich zusammen. Nach einer Woche vergeblicher Bemühungen wandten sich die Bewohner Osians ratsuchend an den Weisen. Dieser begab sich des Nachts zum Tempel der Kuldevi und konsultierte sie. Die Göttin war in der Tat verantwortlich für die einstürzenden Bauten und zeigte sich erzürnt darüber, dass neben dem ihren ein anderer Tempel in Osian errichtet werden sollte. Durch geschickte Überzeugungskunst gelang es jedoch dem Jain, die Kuldevi dazu zu bringen, den Bau eines zweiten Tempels zu akzeptieren, solange die Bewohner Osians auch sie weiterhin ausreichend verehren würden. Im Folgenden gelang nun die Errichtung des Jain-Heiligtums, woraufhin wieder einmal die Frage nach einem Götterbild aufkam. Erneut fragte der Weise die Kuldevi um Rat, welche sich bereit erklärte, binnen sieben Tagen eine Statue zu erschaffen. Nötig sei dazu, dass die Kuh des Königs zum Grasen täglich auf eine bestimmte Wiese geschickt werde. Der Anweisung wurde Folge geleistet und bald beobachteten die Bewohner Osians, dass aus dem Euter der Kuh Milch auf den Boden tropfte und versickerte, sobald sie die besagte Weide erreicht hatte. Nach einigen Tagen ward die Neugierde der Menschen so groß, dass sie an der entsprechenden Stelle zu graben begannen und im Erdreich tatsächlich auf ein Götterbild stießen. Da jedoch die sieben Tage noch nicht vergangen waren, war es noch unfertig und seine Oberfläche von unregelmäßigen Narben und Tumoren übersät. Die naiven Bewohner Osians gedachten deswegen, die Statue zu reinigen und dadurch die Oberfläche zu glätten – dieser Versuch führte jedoch dazu, dass Unmengen an Milch und Blut aus der halbfertigen Gestalt austraten. Die Kuldevi war über die Ungeduld der Menschen so erzürnt, dass sie all jenen, die dem Jainismus beigetreten waren, befahl, Osian binnen weniger Tage zu verlassen. Voller Angst flohen die meisten Bewohner, diejenigen, die zurückblieben, starben. So schrumpfte Osian der Legende nach zu dem kleinen Dorf zusammen, das es heute ist, da nur die Bewohner, die dauerhaft und einzig die Kuldevi verehrt hatten, weiterhin dort lebten. Eine sehr verfilmungstaugliche Geschichte, meiner Meinung nach. Unlogisch ist jedoch, dass der Jaintempel nach wie vor in Osian steht und auch benutzt wird – wenngleich es merkwürdige Beschränkungen der Götterverehrung gibt: Wird ein Kind dort „getauft“, muss es Osian am selben Tag verlassen. Opfergaben, die nach dem Tempelbesuch an die Pilger verteilt werden, dürfen hingegen nicht über die Grenzen der Stadt hinausgetragen werden. Alles sehr.. intricate.


[hahaaa!!]

Nachdem wir dieser gruseligen Episode aus der Geschichte des Ortes gelauscht hatten, stand der lustigere Teil unseres Ausflugs an: Wir erklommen eine am Rande des Dorfes gelegene Sanddüne, das letzte Überbleibsel der eigentlich staubigbraunen Wüstenlandschaft. Dank der intensiven Regenfälle spross selbst inmitten all des Sandes hier und da ein überraschend grüner Busch. Das Besteigen der Düne stellte sich übrigens als ziemlich anspruchsvoll heraus.. starkes Gefälle und (hauptsächlich in meine Schuhe) rutschende Sandmassen.. starkes Schwitzen. Doch es lohnte sich denn – wir fanden ein Kamel!! Inklusive touristenfreundlichem Kameltreiber.. juhuuu!! :D great fun!

[Sanyats Cousin Nimit und ich auf unserer Reise mit dem Wüstenschiff..]


Rajasthan High Court

Am Freitag statteten wir dem High Court einen Besuch ab. Schon vor dem Gebäude traf Sanyat eine seiner Tanten, eine Anwältin.. in dieser Familie haben ungelogen 80 % aller Menschen ein LL.B.-Degree! Im Inneren des sehr britisch wirkenden Gebäudes schlängelten wir uns durch Unmengen von Anwälten, die alle gleich aussahen: schwarz gekleidet, mit einer Art rüschenverzierten Kutte dekoriert. Einige grüßten Sanyat wie einen lange verlorenen Sohn (naja..fast).. Wir setzten uns in einen Gerichtssaal, in dem an diesem Morgen die division bench tagte.. ein aus zwei Richtern bestehendes Berufungsgericht in Zivilsachen. Der eine Richter, junior judge, hing gelangweilt in seinem Sessel, während der senior judge die der Reihe nach in ihrer Sache vorsprechenden Anwälte über die basic rules bzgl. der Zulässigkeit und Zuständigkeit in Berufungsverfahren aufklären musste und darüber zunehmend erzürnt war.. nachdem er einige Anwälte regelrecht zurechtgewiesen hatte, konnte sich der eine oder andere Kollege in den Reihen der Wartenden ein schadenfrohes Grinsen nicht verkneifen. Insgesamt war der Besuch leider kein besonders profitables Unterfangen, da hauptsächlich Hindi geredet wurde und auch das Englisch meist von einem so starken indischen Akzent geprägt war, dass ich wenig verstand. So beeindruckte mich neben dem aufsehenerregenden Gewand der Gerichtsdiener (weißes, knielanges Leinenhemd (kurta), weiße payamas, dicker Ledergürtel mit silberner Schnalle, in die die Ashoka-Säule eingeprägt ist (das Nationalsymbol Indiens.. eine Steinsäule, auf der drei Löwen sitzen) und knallroter Turban) vor allem die Kutte der Anwälte: auf dem Rücken hängt ein kleiner schwarzer Sack.. ich konnte mir einfach nicht erklären, wofür der gut sein könnte. Sanyat erklärte mir, dass ein Anwalt idealerweise nicht bezahlt werden sollte und der Klient daher lediglich eine freiwillige Zahlung machen könnte, indem er einen Betrag in das Säckchen wirft.. sehr spaßig, dass trotz der davon abweichenden Praxis alle mit so einem Beutel rumlaufen.

[am Abend besuchten wir ein geniales Restaurant mit angenehm windiger Terrasse und Blick auf den Palast]

Dal Baati

Falls ich's noch nicht erwähnt hab: Das Essen war unglaauuuublich! Im Bild: Dal Baati.. Dal ist die (obligatorisch täglich - aber in verschiedenen Variationen - zubereitete) Linsensuppe (gelb). Baati ist ein im (Tandoor-)Ofen zubereiteter Brotball, der zerbröckelt und mit den Linsen vermatscht wird.. das grüne ist mein neues Lieblingsgemüse: Ladyfinger aka. bhindi aka. Okra. Eines DER rajasthanischen Gerichte.. welches auch Teil eines patriotischen Idioms ist:

dal baati choorma
hum hai desi soorma

frei übersetzt:

Linsen, Brotbällchen und klebrige Süßigkeiten
wir sind so mutig wie Löwen

Jodhpurs Altstadt





Am Donnerstag spazierten wir eine Weile durch das Labyrinth der Altstadtgassen.. ich war hin und weg, ich liebe indische Altstädte! Blaue Mauern soweit das Auge reicht.. und selbst im Inneren der Häuser sind alle Wände blau gestrichen. Wir besuchten auch Sanyats Cousin Vikas und seine Tante, wodurch ich in den Genuss kam, eines dieser alten Gebäude von Innen zu betrachten. Anschließend an unseren Besuch kutschierte Vikas uns auf seiner Honda Hero zwischen Ziegen und Gemüsehändlern hindurch zu einem Bazar.. ganz schöne Leistung, in diesen engen Gässchen ein mit drei Passagieren besetztes Motorrad zu navigieren. Der im Schatten eines sehr britisch wirkenden Uhrenturms gelegene Markt ist bekannt für seine große Auswahl an Armreifen.. wir schlenderten herum und ich probierte mindestens 700 bangles an.. (bzw.. ich wurde dazu gezwungen.. blieb ich an einem Stand stehen, griff die Verkäuferin nach meinem Handgelenk und fing ungefragt an, Armreifen jeder Machart auf meine Hand zu zwängen).. wir feilschten ein bisschen herum und schlenderten dann weiter. An einem Stand entwickelte sich schließlich unsere Feilscherei in ernsthaftere Verkaufsverhandlungen, als plötzlich Sanyat von einem police wallah auf unfreundliche Weise gefragt wurde, wer er sei. Er nannte seinen Namen und drehte sich wieder zur Armreifverkäuferin, als der police wallah ihn packte und zu sich zog.. er wollte wissen, was er hier mache.. Sanyat zückte daraufhin seinen Geldbeutel und zeigte mehr oder weniger beiläufig die Visitenkarte seines Vaters (eine, wie wir im Nachhinein erörterten, irgendwie dumme Handlung..). Damit war der Polizist keineswegs zufrieden, sondern rief einige Kollegen sowie Vorgesetzte herbei, sodass Sanyat einen Moment später von fünf fuchtelnden und brüllenden Polizisten umringt war, die ihn an der Schulter packten.. ich blickte überhaupt nix. Sanyat drehte sich zu mir um, drückte mir meine Armreifen in der Hand und wurde schon von den police wallahs in Richtung eines Polizeijeeps geschleift.. ich stand mehr oder weniger verlassen herum und fühlte mich inmitten eines Wirrwarrs aus Altstadtgassen verloren. Aus zwanzig Metern Entfernung beobachtete ich die erhitzte Diskussion, die vor dem Jeep entbrannt war.. und fand das ganze Geschehen unfassbar ungerecht. Irgendwie sah ich mich plötzlich mit den Ausmaßen der staatlichen Gewalt und meiner Hilflosigkeit ihr gegenüber konfrontiert.. wieso griffen diese Typen ohne Anlass und Rechtfertigung in unsere Freiheit und unser Leben ein? Und wieso musste ausgerechnet Sanyat, die Höflichkeit in Person, dieser Willkür zum Opfer fallen?! Naja, die ganze Angelegenheit löste sich glücklicherweise in Wohlgefallen auf.. genauso rätselhaft, wie alles begonne hatte. Doch unsere Stimmung war danach getrübt und ich war verwirrt.. Sanyat erklärte mir, was er hinter der Aktion vermutete.. wahrscheinlich checken diese Polizisten Fremdenführer auf ihre Lizenz und vor allem auch darauf, für welche Agentur sie arbeiten.. und je mehr Schmiergeld die jeweilige Agentur zahlt, desto ungestörter kann der travel guide arbeiten. Das Ziel dieser Operationen ist also gar nicht so sehr das Wohlergehen der armen, ausgebeuteten Touristen.. sondern es handelt sich vielmehr um eine Ausgeburt tiefwurzelnder Korruption. Und selbst wenn diese police wallahs nur um meine Sicherheit besorgt gewesen sein sollten.. sie hätten mich ja wenigstens mal nach meiner Meinung fragen können. Stattdessen beachtete man mich kein Stück und als ich rief „what’s going on?“ starrte man mich nur dumm an. Unerfreulicher Zwischenfall..

[Sanyats Neffe Siddhaanth.. obwohl er kaum sprechen kann, ist er schon Botschafter der indischen Gastfreundschaft! er packte meine Hand, drückte mir einen Keks in selbige und versuchte dann, das Ganze in Richtung meines Mundes zu bugsieren .. die reinste Mast, dieser Aufenthalt!! :D ]

Montag, 30. August 2010

Meherangarh Fort

Am Mittwoch besuchten wir das bekannte Meherangarh-Fort Jodhpurs, das im Jahre 1459 vom Rajputenkönig Rao Jodha erbaut wurde. Es thront auf imposante Weise auf einem 120 Meter hohen Felsen über der Stadt. Die blau bemalten Häuschen der Altstadt tummeln sich am Fuße der steilen Felswände und wirken wie Gischt auf einem Meer aus Steinen. Es war sehr angenehm, sich dieses gut erhaltene Gebäude und seine luftigen Außenanlagen anzuschauen.. keine dummen Sprüche, keine nice-price-Ramschhändler, keine Touristenabzocke.. stattdessen eine unfassbare Aussicht und ein Museum voller interessanter Ausstellungsstücke.. das Schwert von Akbar dem Großen, eine königliche Sänfte in Pfauenform, Elefanten-Sitzkissen aus Satin, Opiumpfeifen, Kinderschuhe aus Kamelleder.. und an allen Ecken des Palasts traditionell gekleidete Wächter, die auf mir unbekannten Instrumenten klimpern. Einmal durchschritten wir einen langen Gang, in dessen Innerem ein angenehmes Lichtspiel Muster auf den Boden zeichnete. Durch die Abermillionen an kleinen Luft- und Lichtschlitzen in den Wänden hatten scheinbar auch die bis zu 200 Ehefrauen der Herrscher die Möglichkeit, die Geschehnisse in den Höfen des Palastes zu beobachten. Interessant auch die Schlafgemächer des Maharajas: Über dem Bett hing ein merkwürdiger Wedel an einem Seil, welches durch ein kleines Fenster in eine benachbarte Kammer führte. In dieser saß der königliche Luftfächerer, der dafür zu sorgen hatte, dass der Maharaja einen kühlen Schlaf hatte.








Rakhi in Jodhpur

Werte Leserschaft.. hinter mir liegt eine Woche Urlaub in Rajasthan, experiencing Indian (almost) everyday-life at its finest.. and at close quarters :) ich weiß nicht recht, wie ich aus dem Salat an Eindrücken und Erlebnissen eine einigermaßen verständliche Schilderung herstellen soll.. aber ich werde es versuchen.
Am Montagabend um 21 Uhr boardeten Sanyat und ich den Mandore-Express von Delhi nach Jodhpur. Da mein Rucksack spontan einen Schimmelanfall erlitten haben muss (den ich erst bemerkte, als ich das gute Stück nachmittags aus den Tiefen meines Schrankes hervorzerrte – oh Egersund!), reiste ich mit fremdem Gepäck..also.. mit einer fremden Reisetasche. Unser 3 AC-Abteil (d.h. ein Abteil mit drei übereinander befindlichen Betten) teilten wir unter anderem mit einer für das Europaparlament arbeitenden Portugiesin, ihrer britischen Freundin, einem grummeligen, rülpsenden indischen Rentner, sowie unzähligen Kakerlaken, die die beiden Touristen in eine in Anbetracht ihrer ziemlich umfangreichen bevorstehenden Indienrundreise nicht nachvollziehbare Panik versetzten. Gegen 23 Uhr, als die Mitreisenden die Betten ausklappten, um zu schlafen, begab ich mich mit Sanyat zur Tür unseres Waggons.. wir öffneten sie und reisten dort, gefährlich nah am Abgrund stehend. Der Vollmond beschien eine Landschaft, die nur mit dem Wort „vast“ zu beschreiben ist, wir waren umgeben vom Rattern und gelegentlichen Tuten des Zuges, die Haare vom Fahrtwind verfilzt. Ein irgendwie klischeehaftes Erlebnis der Freiheit einer Zugreise.. das in sicheren und sauberen deutschen Zügen nicht möglich wäre.


[die momentan aufgrund starker Monsoon-Regenfälle in ganz Nordindien außerordentlich grüne Landschaft Rajasthans]


Um 9 Uhr morgens erreichten wir Jodhpur und wurden am Zug von einem government employee, der irgendwie in den Diensten von Sanyats Vater steht, abgeholt.. und in einem schnieken Wagen zu ihm nach Hause kutschiert. Meine Denkstrukturen sind mittlerweile so stark indianisiert, dass ich beim Anblick einer weißen Box auf dem Dach des Autos fragte, ob jemand nach dem Einkaufen vergessen habe, seine Gulab Jamuns (eine fettigklebrige, ballförmige Süßigkeit, die gewöhnlich in weißen Plastikboxen verkauft wird) in den Kofferraum zu packen.. tatsächlich handelte es sich um ein verhülltes Blaulicht, das alle government cars auszeichnet. Unfassbar. Alles in allem kann man in Indien als Angehöriger der oberen Mittelklasse ein ziemlich luxuriöses Leben führen.. viel luxuriöser als in Deutschland. Sanyats Familie hat zum Beispiel zwei Köche und drei weitere Angestellte.. und durch allerhand Beziehungen und Bekanntschaften kommt man auch sonst sehr leicht in den Genuss eines gewissen preferential treatments.
Nach unserer Ankunft wurde uns zunächst ein vorzügliches Frühstück serviert, welches ein Vorgeschmack auf jede einzelne Mahlzeit der kommenden Tage sein sollte – hab noch nie so gutes Essen geschmeckt! Selbst der Blumenkohl war lecker! Danach unterhielt ich mich eine Weile mit Sanyats Großtante, der Deutschprofessorin aus Jaipur. Es war ein sehr merkwürdiges Gefühl, an solch einem ungewohnten Ort ein so perfektes Deutsch zu hören.. ein gepflegtes, etwas seniorenhaftes Hochdeutsch.. ein.. Oma-Oberhausen-Deutsch vielleicht :) und lustigerweise kennt diese Deutschprofessorin nicht nur etliche Profs der Uni Heidelberg, sondern auch einen Jurastudent unserer Uni, der vor 3 Jahren in Delhi studiert und einen Hindikurs bei ihr besucht hat. Ich hab vor einem halben Jahr im Akademischen Auslandsamt Heidelberg seinen Erfahrungsbericht über das Austauschsemester gelesen.. als ich erfuhr, dass wir mehr oder weniger dieselbe Person „kennen“, musste ich an diese Theorie denken, dass jeder Mensch mit jedem anderen Erdbewohner um maximal sechs Ecken herum bekannt ist..
Den Dienstag verbrachten wir dann mit dem Zelebrieren des Festes Rakhi. An diesem Tag danken alle Frauen ihren Brüdern (d.h. Brüdern i.w.S.: Cousins, Schwäger, Neffen..und teilweise werden auch deren Ehefrauen miteinbezogen) dafür, dass sie beschützt werden bzw. immer auf Unterstützung und Hilfe zählen können. Vollzogen wird dieses Dankesritual, indem der Bruder gebetsmäßig (in einer Pooja) verehrt wird, er bekommt einen Stirnpunkt aufgemalt (als eine Art Segen) und eine Süßigkeit in den Mund gestopft.. und schließlich wird ihm ein buntes Armband umgebunden. Sanyats Vater hatte gegen Ende des Tages mindestens 20 Bändchen am Handgelenk – u.a. seine vier Schwestern und deren Kinder kamen zu Besuch. Ich hab auch ein Band umgebunden bekommen.. von Sanyats Oma :) uah, unsere erste Begegnung war relativ lustig.. ich saß bei Sanyats Maamaa (Hindi für den Bruder der Mutter..) auf dem Sofa und beobachtete das allgemeine Wirrwarr, als plötzlich jemand von hinten seine Hand über meine Augen legte!! Das gesamte Wohnzimmer verstummte ungefähr und ich sah nichts mehr.. nach ein paar Sekunden löste sich die Hand.. die Besitzerin derselben, Sanyats Oma, starrte mich erstaunt an und fing dann an zu lachen.. sie hatte mich von hinten mit einer ihrer Enkelinnen verwechselt.. auch wenn mir jeder danach versicherte, dass zwischen uns ein Unterschied wie Schwarz und Weiß läge.


[Sanyats Großtante, die Deutschprofessorin aus Jaipur, bindet ihrem Schwager - Sanyats Vater - ein Armband um]

[der sonnenbebrillte Beobachter im Hintergrund ist Sanyats Onkel.. einer der zahlreichen Anwälte der Familie.. die Sonnenbrille trug er übrigens weniger aus Coolnessgründen (vermute ich) als vielmehr aus dem Anlass, uns nicht mit der zur Zeit grasierenden eye flu zu infizieren.. :) ]

Das indische Familienleben so kennenzulernen, war einmalig.. die Gastfreundschaft ist fast schon zu groß. Wo man auch hinkommt (und man kommt sehr oft irgendwo hin, denn man besucht sich gegenseitig viel häufiger als in Deutschland, ist mein Eindruck), man wird erstmal mit nasta (eigentlich das Wort für Frühstück..wird aber im Bezug auf alle möglichen Snacks verwendet) gefüttert.. ein Neindanke stößt auf taube Ohren. Geröstete Maiskolben, Nimbu Pani (Zitronenwasser.. also.. Limonade), Gulab Jamuns, Erdnüsse, Äpfel, Papaya, Laddus, Eis.. und alle Verwandten waren so neugierig und haben mich dauerhaft angelächelt.. wodurch ich mich aufgrund meiner Kommunikationsunfähigkeit teilweise sehr unwohl fühlte. Die meiste Zeit genoss ich es aber eher, Zeit in großen, vertrauten Menschenmassen zu verbringen. Am Samstag, dem vorletzten Tag unseres Aufenthalts, fand ein anderes Familientreffen in einem kleinen Park in Jodhpur statt. Zuerst saß ich mit Sanyat und seinen Cousinen und Cousins auf einem kleinen Hügel in der Nähe.. es wurde halblustig über die älteren Generationen geredet.. und über Themen wie wer wann verheiratet wird, uah war das weird! Nach einer Weile setzten wir uns zu den anderen Verwandten, die eine Art Sitzkreis gebildet hatten und zusammen Lieder sangen und verschiedene Singspiele spielten. Nach einer Weile kam es zu einer Runde von Individualperformances.. der Reihe nach sollte jeder etwas singen, während alle anderen andächtig lauschten. Ich war beeindruckt.. erstens sangen alle ziemlich gut, zweitens sehr selbstbewusst und voller Emotion.. ich fand es fast peinlich, zuzuhören.. das war so intim und irgendwie zeigt das so viel über die Leute und ich war doch nur ein fremder Eindringling. Schlimmer noch war allerdings das Gefühl, als ich an der Reihe war.. ich stammelte entschuldigend, ich könne ja kein Hindi und wollte passen.. aber ungefähr 30 Gesichter lächelten mich an und sagten Dinge wie „only two lines“ oder „in German“ und so. Ich war total überfordert und wäre am liebsten im Boden versunken und hab die ganze Zeit abgewehrt.. als man mich endlich enttäuscht in Ruhe ließ, war ich total verwirrt.. erstens kenne ich nicht den Text eines einzigen deutschen Volkslieds (oder wenigstens Schlagers).. abgesehn vielleicht von Alexander-Markus-Müll.. und zweitens wäre ich nie im Leben in der Lage gewesen, irgendwas vorzutragen. In dem Moment kam ich mir unmenschlich vor, weil ich nicht in der Lage war, ein Lied zu singen.. so eine natürliche Sache. Im Nachhinein ist mir nur ein einziges Lied eingefallen, das ich hätte vortragen können.. „mir hend dahoim an alde Grießbrei..“ oh Mann. Beeindruckend auf eine positivere Weise war die Begegnung mit Sanyats Großmutter väterlicherseits. Sie ist 79 und seit drei Monaten so gelähmt, dass sie nicht mehr sprechen und nur noch liegen kann. Ihre Augen sind aufgrund einer Krankheit ganz hell, fast blau, ihr Haar weiß und ganz klein und zierlich lag sie in einem viel zu großen Bett. Die ganze Familie, eine Psychotherapeutin, der Koch und die maid kümmern sich um sie und versuchen, sie zum Reden zu bringen.. vergeblich. Nur mit Sanyats Vater redet sie.. und teilweise mit Sanyat. Ich konnte gar nicht glauben, dass sie überhaupt spricht.. bis ich einmal dabei war, als Sanyats Vater ein Mantra in Sanskrit gesungen hat.. da ist irgendetwas in ihr erwacht und sie hat mit einer lange nicht benutzten Stimme auch ein paar Verse zitiert, obwohl ihr fast der Atem ausging. Mir ist es kalt den Rücken heruntergelaufen und ich hatte den Gedanken, dass Glaube eine wirklich sehr starke Macht über Menschen haben kann. Bhaiji (bhai heißt Schwester, ji ist ein Ausdruck des Respekts.. so wird die Großmutter in der ganzen Familie genannt) ist eine sehr gläubige Jain (ich wusste bis zu diesem Besuch gar nicht, dass Sanyats Familie Jain ist..) und hat dieses Gebet mehr als 50 Jahre lang täglich gesprochen.. sie isst und trinkt noch heute nicht nach 18 Uhr abends.. als sie 65 war hat sie ein Jahr lang nur jeden zweiten Tag gegessen.. der Jainismus ist eine Religion der Willensstärke. Und dieser Wille scheint noch immer so stark zu sein, dass er sogar die körperliche Schwäche überwindet.. Das einzige andere Wort, das ich von ihr gehört habe, war, als Sanyat zum ersten Mal in ihr Zimmer gekommen ist.. doodh.. Milch. Obwohl sie sich nicht mehr bewegen kann, ist sie – wieder typisch für die rajasthanische Gastfreundschaft – stets um das leibliche Wohl aller Menschen im Haus besorgt und wollte erstmal wissen, ob Sanyat Milch zum Frühstück hatte. Mich hat sie immer mit großen Augen angeguckt und eines Tages an ihr Bett genickt.. Sanyat sagte mir, ich sollte meinen Kopf senken.. ich tat wie mir geheißen und beugte mich ganz nah zu ihr herab.. und sie legte ihre linke Hand, die sie noch mühsam bewegen kann, auf meinen Kopf, um mich zu segnen. Das war so eine rührende Geste.. und ich konnte wieder nichts sagen außer Danke :-/

[Sanyats Tante bindet ihrer Schwägerin ein Armband um.. daneben sitzt der Bruder dieser Tante, gleichzeitig Ehemann der genannten Schwägerin.. da er auch der Bruder Sanyats Mutter ist, ist er für ihn ein Maamaa]