Sonntag, 31. Oktober 2010

Chhitkul

Am nächsten Morgen fuhren wir nach Chhitkul, dem letzten Dorf vor der indo-chinesischen Grenze, welche in dieser Gegend in einem schroffen Bergrücken besteht. Von dort aus wanderten wir noch einige Kilometer das Tal entlang bis zu einem Stützpunkt der indischen Armee. Dort ist jegliches Weitergehen untersagt, näher kann man China nicht kommen. Die Landschaft war berauschend: Ein leuchtend blauer Himmel spannte sich über graubraunen Wiesen und Hängen, auf denen rostrote Büschchen und Bäume mit goldgelb verfärbtem Laub wuchsen. Der hellblaue Baspa-Bach spülte über weiße Kiesel und Bauern trugen Haufen des rötlichen Getreides zusammen, das in dieser Region des Himalayas traditionell angebaut wird.
[die Bergkette am Horizont stellt die chinesische Grenze dar..]

Wanderung nach Sangla

Nach dem Mittagessen wanderten wir gemeinsam mit einem dem Camp entliehenen local guide ins einige Kilometer flussabwärts gelegene Dorf Sangla. Der Führer war – entgegen meiner Erwartungen – auch tatsächlich notwendig, führte unser Weg durch querfeldein, über Zäune, Mauern und Wiesen und durch das Flussbett sowie den Baspa selbst. Ein zotteliger schwarzer Hund heftete sich kurz hinter dem Dorf Batseri an unsere Fersen. Zunächst fanden wir seine Erscheinung sehr random und waren beim Anblick seines fröhlich wedelnden Schwanzes immer wieder aufs Neue überrascht. Mit der Zeit gewöhnten wir uns jedoch immer mehr an ihn und als wir nach drei Stunden in Sangla ankamen, gehörte er quasi zur Familie!

Die Sonne war bereits im Untergehen begriffen und mit Einbruch der Dunkelheit wurde es reichlich kühl und unsere Finger klamm und steif. Daher kauften wir im winzigen Sangla neben einer wegen übermäßiger Fotografierwut dringend benötigten SD-Speicherkarte (mitten im Gebirge in einem kleinen Handyladen!!) auch Handschuhe und.. Rum :)

Zurück im Camp zogen wir wegen der weiter fallenden Temperaturen alle auffindbaren Pullover übereinander an.. ich zumindest. Für uns verfrorene, ohne Jacken miserabel ausgestatteten Amateure wurde netterweise ein Lagerfeuer entfacht, an welchem wir uns aufwärmten – unter anderem mit Koriander-Zitronen-Suppe und Rum-Cola. Nach dem Abendessen spielten wir bis spät in die Nacht Scrabble mit Sonu-Bhaiya, einem Bekannten von Sanyats Onkel, der den traumhaften Beruf hat, Betreiber des Banjara-Camps und Himalayatreckingwandergruppenführer zu sein.. Als wir uns dann in unser Zelt begaben, erwarteten uns erfreulicherweise mittels Wärmeflaschen vorgeheizte Betten. Unter den tonnenschweren Decken schauten bald nur noch unsere kühlen Nasenspitzen heraus und umgeben einzig vom Rauschen des 20 Meter entfernten Baspa schliefen wir friedlich ein.

Banjara-Camp

Inmitten dieses ruhigen Tals fühlten wir uns irgendwie vom Rest der lärmenden Welt abgehoben.. wahrlich dem Dach der Welt sehr nah. Und dieser Eindruck verstärkte sich, als wir den Ort erreichten, der für die nächsten zwei Tage unsere Heimat sein sollte: Banjara-Retreat Sangla. Unfassbar!! Ein schmaler Pfad führte uns durch von niedrigen Steinmauern gesäumte Apfelwiesen zu einem direkt am Ufer des Baspa gelegenen Camp.. weiße Zelte, bunte Blumen und Äpfelbäume, deren leuchtende Früchte einem geradezu in den Mund wuchsen.

[Aakashi in unserem gemütlichen Zelt-Zuhause]

Hinter unserem Zelt führte eine Steintreppe hinunter zum Ufer des rauschenden Baches.. sofort nach unserer Ankunft rissen wir uns Schuhe und Socken vom Leib und stürzten uns in die eisigen Fluten! Nun gut..once we had realized wie kalt das klare, grünblaue Wasser tatsächlich war, wateten wir doch eher reluctantly darin herum.. die Temperatur war aber auch keineswegs verwunderlich, wird doch das gesamte Tal vom eis- und schneebedeckten Kinner Kailash überragt – und der ist stolze 6050 Meter hoch! Allen widrigen Bedingungen zum Trotz ließen wir es uns aber nicht nehmen, von dem so wunderbar sauberen Wasser des Baspa zu trinken und auch einige heilige Waschungen vorzunehmen!

[die besten Äpfel der Welt..]

[kaaaalt..!!]

Samstag, 23. Oktober 2010

über Sarahan nach Sangla

Nach unserer Wanderung verspeisten wir in einem gemütlichen Speisesaal mit schweren arm chairs und plüschigem Teppichboden ein Mittagessen, das einzig für uns (wir waren die einzigen Gäste) zubereitet wurde! Ich weiß wirklich nicht, ob ich mich in Deutschland wieder an mein Ottonormalbürgerleben gewöhnen können werde.. Anschließend setzten wir gegen 17 Uhr unsere Reise fort. Eine Stunde lang kurvten wir bergabwärts, um in das Tal des Flusses Sutlej hinabzusteigen. An den Ufern des Sutlej angekommen, folgte unser weiterer Weg flussaufwärts den Windungen des klaren Wassers.. langsam legte sich die Dunkelheit über die uns umgebenden Berge und das enge Tal und bald waren die Straßen fast menschenleer, kaum ein Gefährt begegnete uns, während Surinder-Bhaiya unseren Toyota unermüdlich um zahllose Biegungen steuerte. Im kleinen Ort Rampur machten wir einen Stopp, um den rest room eines Restaurants zu beehren. Dabei entdeckten wir zufällig, dass hier Cocktails für 100 Rupien (1,50 Euro) im Angebot waren.. etwas randomly beschlossen wir kurzerhand, hier zu Abend zu essen. Sinnlos kichernd bestiegen Aakashi, Sanyat und ich anschließend das Auto, the whitest boy alive sorgte für ein angenehmes Ambiente und weiter schwebten wir durch diese absolute Dunkelheit, die einem fast das Gefühl gab, man sei blind. Wenig später stellte sich heraus, dass unsere Entscheidung, zu Abend zu essen, die richtige gewesen war: Uns war auf einer unbefestigten, sehr staubigen und steilen Schotterpiste die Weiterfahrt durch einen steckengebliebenen Jeep versperrt. Dass wir mitten im Nirgendwo eine Stunde ausharren mussten, war aber nicht mehr schlimm, nachdem wir aus dem Auto ausgestiegen waren: Aufgrund der intensiven Schwärze der uns umgebenden Nacht war der Sternenhimmel berauschend schön!! Sowas hab ich wirklich noch nie gesehen! Das Firmament war gesprenkelt mit einer unendlichen Anzahl an weißen Pünktchen.. man konnte sogar die Milchstraße sehen.. oder vermutlich eine Ausbuchtung derselben, ein peripherer Milchstraßen-Beutel.. jedenfalls sah es genauso aus!! Awesome. Darüber vergaßen wir beinah die für indische Verhältnisse schockierend eisige Kälte, die durch unsere lommeligen Baumwollpullis kroch.. Nach einer Weile, nachdem das Pannenfahrzeug von einigen Traktoren freigeschleppt worden war, setzten wir unsere Fahrt fort. Nachdem wir uns den Weg durch zwei entgegenkommende Schafherden gebahnt hatten (was sehr gruselig war, weil die Tiere im grellen Scheinwerferlicht sehr dämonisch aussahen), erreichten wir gegen 22 Uhr und damit für Bergverhältnisse in tiefschlafender Nacht das PWD Guest House Sarahan. Wir weckten den ahnungslos schlafenden keeper, welcher uns Einlass in unsere Gemächer verschaffte.. Zitat Sanyat: „a real forest officer’s home!“ Versteckt und halb erstickt von massiven Decken begaben wir uns zu Bett.

Am nächsten Morgen, als wir schläfrig unseren soeben servierten heißen Chai schlürften und verstrubbelt vor die Tür unseres Zimmers traten, bot sich uns ein atemberaubender Anblick über ein weites Tal, welches rundum von schneebedeckten Gipfeln eingerahmt wurde. Zugleich wuchsen auf der Terrasse des Guest Houses aber auch Rosen und andere farbenprächtige Blüten tragende Pflanzen.. merkwürdige klimatische Bedingungen.

Erneut stand eine ziemlich lange Autofahrt bevor. Das enger werdende Setluj-Tal entlang krochen wir tiefer und tiefer in die Berge hinein. Immer gen Osten, der indo-chinesischen Grenze entgegen.

[roadside-dhaba at its finest.. in diesem Fass ist der (nicht ganz traditionell gestaltete) Tandoor-Ofen, der aus gebranntem Lehm besteht.. in diesem wird Brot zubereitet, indem Teigfladen an die Lehmwände geklatscht und in der Hitze gebacken werden.. auffällig ist in den Bergen, dass Tee-Stände, Garküchen und ähnliche Kleinstunternehmen auch von Frauen betrieben werden, wohingegen das im restlichen Indien absolut unüblich ist..]

Zunächst wurde die Aussicht eine ganze Weile lang von den Bauarbeiten eines gigantischen Dammprojekts (1000 MW Karcham Wangtoo Hydroelectric Project) verschandelt. Irgendwann war das Tal jedoch für jegliche Installationen zu schmal, und stundenlang durchquerten wir nicht einmal richtige Dörfer. Die weißen Gipfel, welche die Grenze mit China verkörpern, rückten in fast greifbare Nähe, das Manövrieren unseres Fahrzeugs auf abschüssigen Pisten und an entgegenkommenden 10-Tonner-Lastwagen vorbei gestaltete sich als zunehmend kompliziert. Endlich öffnete sich dann mit einem Mal das Tal und gab den Blick frei auf den (in den Steluj mündenden) Fluss Baspa, der in dieser Höhe nur ein kleiner, eisblauer Bach ist und friedlich durch grünes, mit Apfelbäumen bestandenes Schwemmland mäandert: das Sangla-Valley.

Hatu Peak

Bald brachen wir zu unserer ersten Wanderung auf: Wir erklommen den nahegelegenen Hatu-Peak (3400 Meter über NN, so hoch droben war ich glaub ich noch nie!!).. dabei fiel mir auf, wie vertraut mir die Vegetation Himachal Pradeshs ist: Kastanienbäume, Walderdbeeren, Farn und Spitzwegerich, Nacktschnecken, Eichen und Vergissmeinnicht.. sogar Hagebutten hab ich gefunden! Unterwegs begegneten wir mehreren Schaf- und Ziegenherden und kamen an ein paar Tempeln vorbei.. und auf dem Gipfel wurden wir von einer unglaublichen Aussicht überrascht!

[überkommt den Wandernden unterwegs ein kleines Hungergefühl, besteht jederzeit die Möglichkeit, eine Scheibe Toast zu buttern..]


Narkanda

Am nächsten Morgen wühlten wir uns um 7 Uhr aus den schweren, uns fast erdrückenden Bettdecken.. während Aakashi duschte und Sanyat noch versuchte, die letzten 5 Minuten Schlaf auszureizen, schoss ich vom Balkon aus ein grandioses Foto ..von einem Affen, der just in diesem Moment vom Apfelbaum im Garten auf den Balkon unserer Nachbarn sprang!

Nach einem herzhaften Frühstück (Toastbrot, ungetoastet, mit Butter.. war irgendwie ernsthaft lecker) fuhren wir mit Surinder-Bhaiya nach Narkanda, ein kleines, einödiges und abgelegenes Dorf, welches wir gegen 11 Uhr erreichten. Dort stiegen wir im PWD Guest House ab. PWD steht für public works department, dabei handelt es sich um eine government organisation entrusted with the construction and maintenance of roads, bridges, and government buildings. Die Guest Houses für die Angestellten dieser Verwaltungseinheit (oder was es auch sein mag) finden sich an jedem noch so entlegenen Ort und sind meist tiptop in Schuss und bestens ausgestattet.. ich weiß nicht, wie wir in den Genuss kamen, dort ab und zu unser Lager aufzuschlagen, aber es machte die Reise durchaus komfortabel.

[auf der Fahrt wird für alle Affen an Bord Proviant eingekauft]

[ganz typischer Anblick.. staubige, kurvige Straßen, mangelhaft befestigt und von der Regenzeit arg mitgenommen.. kaum Fahrzeuge bis auf Busse und waghalsig bretternde Lastwagen, die meist mit Apfelkisten beladen sind.. blauer Himmel..Sonnenschein]

[im Garten des PWD Guest Houses.. sooo schön]

eine Reise durch Himachal Pradesh - Shimla

Am 6. Oktober brach ich zu meinem nächsten Abenteuer auf: Gemeinsam mit Sanyat und seiner Schwester Aakashi reiste ich für eine Woche gen Norden, um den Staat Himachal Pradesh zu erkunden. Um 6 Uhr fuhr ich mit der noch menschenleeren ersten Metro zur New Delhi Railway Station, dort bestiegen wir gemeinsam den Shatabdi-Express Delhi-Chandigarh. Die Shatabdi-Express-Züge sind die schnellsten und modernsten Indiens, die Abteile strahlen einen starken ICE-Flair aus (sauber, komfortabel und geräumig) und der Service erinnert stark an einen Langstreckenflug: Man bekommt eine Morgenzeitung gereicht und einen Morgentee mit Keksen serviert, eine Stunde später ein opulentes Frühstück (Omelette! Cutlet!).. und solch ein Angebot genießt man im Shatabdi den ganzen Tag. Wir erreichten jedoch (leider) schon nach drei Stunden Fahrt Chandigarh, die Hauptstadt des Punjab, wo unsere Zugfahrt endete und wir in einen allradgetriebenen Toyota 8 Sitzer (chrchr) umstiegen, welcher für die kommenden Tage unsere zweite Heimat werden würde. Während Driver Surinder-Bhaiya, ein wortkarger irgendwie sonnengegerbter Himachali mit Vorliebe für einschläfernde 60er-Jahre-Retro-Bollywood-Schlager, unseren Luxus-Van Richtung Norden, den Ausläufern des Himalayas entgegen steuerte, nisteten wir uns in den geräumigen Rückbänken ein uns schliefen erstmal ein Ründchen.

Serpentinenreich schlängelt sich die Straße von Chandigarh, der letzten größeren Stadt in der Ebene, in die Berge und weniger dicht besiedelten Gegenden hinein. Das Ziel unserer ersten Reiseetappe sollte Shimla sein, die bei den Briten sehr beliebte hill station, Sitz zahlreicher Sommerresidenzen der reichen Kolonialherren und heutige Hauptstadt Himachal Pradeshs. Einer spontanen Eingebung folgend versuchten wir während der Fahrt eine Weile, einen ab und zu am Horizont sichtbaren, dann wieder in Tunneln und hinter Bergen verschwindenden Toy Train zu jagen – unser Ziel war es, ihn zu überholen und eine der Haltestationen vor ihm zu erreichen, um den restlichen Weg nach Shimla in dieser lustigen, von den Briten installierten Schmalspurbahn zurückzulegen.. leider hatten wir keinen Erfolg.

Jedenfalls erreichten wir gegen 17 Uhr Shimla (über sechs Stunden Fahrt für 120 Kilometer!!), wo wir im High Court Guest House (natürlich) abstiegen. Weil die doch merklich kalte Luft uns an die Hitze der plains gewöhnte Menschen doch sehr erschreckte, begaben wir uns umgehend auf „The Mall“, die berühmte Einkaufsmeile der Stadt.. dort erstanden wir anständige Schuhe (runter mit den Hauptstadt-Schläpperchen), Jeans (weg mit flatternden pajamas), Socken, Labello, Handschuhe und andere Ausrüstungsgegenstände, wodurch wir uns anschließend weniger lächerlich und weniger mangelhaft vorbereitet vorkamen. Außerdem trafen wir Anshika und Satakshi, zwei in Shimla heimische Mädchen aus unserem Semester, die über die Ferien nach Hause gereist waren und uns nun ein wenig herumführten.


[Aakashi und ich auf dem Scandal Point.. einem Platz mit hervorragender Aussicht auf das Tal und Lower Shimla (der tiefer gelegene Teil der Stadt).. seinen Namen trägt der Platz aufgrund einer Legende: scheinbar ritt der König von Patiala, der ein Auge auf die Tochter des britischen Statthalters geworfen hatte, eines Tages nach Shimla und entführte das friedlich herumspazierende Mädchen auf diesem Platz..]

[von den Briten erbaute town hall.. ein Fachwerkhaus in Indien!]

[Anshika (links) und Satakshi beim Abendessen.. im Vordergrund mal wieder ein verführerisch dampfender Sizzler!]

[von Satakshis Eltern bekamen Aakashi und ich Topis geschenkt, die taditionelle Kopfbedeckung der Himachalis.. und in den Dörfern oben in den Bergen trägt tatsächlich fast jeder so einen Hut!]